© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Zu früh gefreut
Ungarn: In der ersten Runde siegen die Linken / Endgültige Entscheidung fällt am 21. April
Alexander Barti

Am Sonntag, den 7. April, gab es bei den regierenden "Jungdemokraten" (Fidesz) in Budapest lange Gesichter: Die Auszählung der ersten Wahlrunde, die mit 71 Prozent eine Rekordbeteiligung hatte, brachte nicht den erhofften und prognostizierten Wahlsieg. Die oppositionellen Sozialisten hingegen hatten allen Grund mit ihrem Spitzenkandidaten Péter Medgyessy (parteilos) zu jubeln, denn selbst die Linken hatten nicht mit einem Sieg von 42,13 zu 41,24 Prozent zu ihren Gunsten gerechnet. Die ebenfalls oppositionellen Linksliberalen (SZDSZ) schafften den Einzug ins Parlament knapp mit 5,6 Prozent (1998: 7,57 Prozent), während die rechte Opposition, die "Wahrheits- und Lebenspartei" (MIÉP), ebenso knapp mit 4,4 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte (1998: 5,47 Prozent).

Der Chef der MIÉP, István Csurka, zeigte sich in einem Interview mit der ungarischen Krónika schwer enttäuscht von dem Abschneiden seiner Partei. Man habe selbst in den schlimmsten Alpträumen nicht damit gerechnet, aus dem Parlament zu fliegen. Das Leben gehe aber weiter, und auch die Partei werde weiter kämpfen - aber die Wahl sei jetzt für MIÉP gelaufen. Vorbei ist die Wahl auch für die erst im November 2001 gegründete Centrum Partei des Ex-Finanzministers Mihály Kupa; sie erreichte auf Anhieb mit rund 3,9 Prozent einen Achtungserfolg. Das Centrum ist ein Zusammenschluß aus "Dritte Seite für Ungarn" (Home), Christdemokraten (KDNP), Volkspartei (MNDP) und zwei Umweltbewegungen (Zöld Demokraták, Zöld Szalag Mozgalom) und verfolgt eine liberal-christliche Politik links von der politischen Mitte.

Tief gestürzt - auf 0,8 Prozent - sind die Unabhängigen Kleinlandwirte (FKgP), die 1998 noch 13,15 Prozent erreicht hatten und mit József Torgyány den Landwirtschaftsminister stellten. Überrascht ist über diesen Abgang niemand, denn schon seit Monaten war die Partei völlig zerstritten und hatte sich in mehrere Flügel gespalten. Chancenlos war auch die stramm kommunistische Arbeiterpartei mit rund 2,2 Prozent (1998: 3,95 Prozent); für ihren Vorsitzenden Gyula Thürmer hätten viele, die eigentlich mit der Arbeiterpartei sympathisierten, die Sozialisten gewählt - um den Regierungswechsel zu ermöglichen. Während des Wahlkampfes waren die Sozialisten mit den Kommunisten auch gemeinsam aufgetreten.

Das ungarische Wahlrecht ist mit seiner Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahl nicht nur kompliziert, es begünstigt auch die großen Parteien. Daher könnte Orbán nach dem zweiten Wahlgang am 21. April doch noch die Nase vorn haben. In den 176 Wahlkreisen haben 45 Kandidaten die absolute Mehrheit bereits gewonnen; 24 Mandate gingen an MSZP, 20 an Fidesz-MDF und einen Platz errang ein MSZP-SZDSZ Kandidat. Ganz entscheidend sind daher im zweiten Wahlgang nicht nur die eigenen Wähler, sondern vor allem auch die Wahlempfehlungen der kleinen Parteien. Sollten die enttäuschten Anhänger der Kleinlandwirte, MIÉP und Centrum aus Trotz den Jungdemokraten das Wahlkreuz verweigern, hätten die Bürgerlichen den Sekt zu früh kaltgestellt und müßten erneut auf die Oppositionsbänke.

Wie auch immer das Endergebnis nach dem 21. April aussehen wird, zeigen die Wahlen in Ungarn das prinzipielle Dilemma der bürgerlich-konservativen Kräfte in ganz Europa: während die gemäßigten Linken unbehelligt von der "Öffentlichkeit" auch mit orthodoxen Kommunisten marschieren dürfen, müssen die politischen Kräfte rechts der Mitte erhebliche Energie darauf verwenden, sich von den etwaigen "Rechtsaußen" zu distanzieren (siehe JF-Interview mit dem Fidesz-Fraktionschef József Szájer, Nr. 14/02). Der Kampf um die Mehrheit gleicht daher fast immer einer kläglichen Abwehrschlacht - eine dauerhafte Zukunft mit bürgerlich-konservativen Werten läßt sich so nicht gestalten.


 
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