© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Mitbauen an dem neuen Deutschland
"Junge Front" mit christlich-nationaler Vision: 1932 begann ein erstaunliches publizistisches Engagement
Manfred Müller

Drei junge Männer wagten 1932 ein erstaunliches Experiment: die Herausgabe einer neuen Wochenzeitung - dies zu einer Zeit, als in Deutschland Arbeitslosigkeit und Massenverelendung einem Höhepunkt zustrebten. Die jungen Zeitungsmacher wollten mit ihrem Projekt einen Beitrag dazu leisten, den stark gestiegenen Zulauf zu den totalitären Parteien NSDAP und KPD zu stoppen und für Deutschland die Vision eines christlich-nationalen Volksstaates aufzuzeigen. Dieses Ziel erreichten sie nicht, das Blatt hatte aber bei seinem endgültigen Verbot im Januar 1936 eine Auflage von 330.000 und war damit genauso auflagestark wie das staatlich geförderte Zentralorgan der NSDAP, der Völkische Beobachter.

Begonnen hatte alles beim Reichstreffen der "Sturmschar", einer stark jugendbewegten Eliteformation des Katholischen Jungmännerverbandes Deutschlands (KJMV) im Mai 1932 zu Koblenz. Zu diesem Reichstreffen von 2000 Sturmschärlern und 100 Geistlichen erschien eine Lagerzeitung in fünf Ausgaben (Auflage: 20.000),die teils in Koblenz auf den Straßen verkauft, teils ins Reich geschickt wurden, "um den Volkswillen unserer Jungmannschaft ins deutsche Volk zu tragen". Dies war die Pilot-Ausgabe für die Junge Front - Wochenzeitung ins deutsche Jungvolk. Die erste Nummer kam am 17. Juli 1932 heraus. Initiatoren waren Josef Rick, Otto Vieth (beide 20 Jahre) und Georg Thurmair (23 Jahre), dessen Kirchenlieder noch heute im katholischen "Gotteslob" zu finden sind. Sie kamen aus der werktätigen Jugend und waren Angestellte der KJMV-Reichszentrale im Jugendhaus Düsseldorf.

Mit der Versicherung: "Wir verpfänden unser Gehalt, wenn die Junge Front nicht läuft", rangen sie dem Generalpräses des KJMV, Ludwig Wolker, die Einwilligung zu diesem Experiment ab. Die Startauflage des in Düsseldorf erscheinenden Blattes betrug 30.000 Exemplare.

Die Zeitung wollte berichten, "worum es in Deutschland geht, in Politik und Wirtschaft und Kultur und Volksleben", wobei das "Jugendleben" besondere Beachtung finden sollte. Gleichzeitig wollte sie "Willen bilden, wachrufen, aufrufen, innere Front schaffen, ... mitbauen an dem neuen Deutschland". Bei scharfer Ablehnung von "Hakenkreuz und Sowjetstern" stand man mit kritischer Solidarität zum Zentrum und zur Bayerischen Volkspartei, fühlte sich aber "keiner Partei-Instanz und keiner Partei-Doktrin" verpflichtet.

Im Dezember 1932 gelang es Wolker, den Journalisten Johannes Maaßen (1902-1949) für den Posten des Hauptschriftleiters zu gewinnen. Maaßen hatte als Jugendlicher die Gründungsphase des Bundes Neudeutschland miterlebt, war vielseitig gebildet und zuletzt bei der Zentrumszeitung Germania in Berlin tätig gewesen. Unter seiner Leitung nahm die Junge Front einen großen Aufschwung. Im Juni 1933 betrug die verkaufte Auflage bereits 85.000, Ende 1933 120.000, im August 1934 200.000.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten setzte die Junge Front ihren Kampf gegen Weltanschauung und Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus entschlossen, geschickt und erfindungsreich fort. Ein Leitartikel Maaßens mit der Überschrift "Schreie, Wahrheit!" (19.2.1933) führte zu einem dreiwöchigen Verbot der Zeitung durch den Oberpräsidenten der Rheinprovinz. Obwohl die Junge Front seitdem alle Möglichkeiten inhaltlicher und sprachlicher Tarnung nutzte und das Religiös-Kirchliche immer mehr in den Vordergrund rückte, folgten weitere Repressionsmaßnahmen. Am 26. August 1933 wurde das Blatt für acht Wochen verboten, am 5. August 1934 für vier Wochen, die Ausgaben vom 8. September und 6. Dezember 1935 wurden beschlagnahmt.

Der Untertitel der Zeitung mußte geändert werden, schließlich auch der Titel. Ab 1. Juli 1935 hieß das Blatt Michael. Wochenschrift junger Deutscher. Der Erzengel Michael genoß als Schutzpatron des deutschen Volkes damals in der katholischen Jugend große Verehrung: "Von ihm beschirmt, wollen wir vor aller Welt sichtbar werden lassen, daß wahrhaft katholisch und wahrhaft deutsch rein ineinander klingen und sich durchdringen bis an das Ende der Tage", so Maaßen über den neuen Namensgeber. Als Losung galt ihm: "Nicht der Welt verhaftet, aber nie der Welt fern, nie fern vor allem unserem lieben Deutschen Vaterland."

Das Vertriebssystem der Zeitschrift war einzigartig. Man konnte das Blatt im Postvertrieb erhalten, aber der größte Teil der Auflage wurde durch sogenannte Frontposten verkauft, deren Zahl bis zum endgültigen Verbot auf 3.000 stieg. Diese "Frontposten", meist Mitglieder der katholischen Jugendverbände, bestellten auf ihr Risiko mindestens je 50 Exemplare und verkauften diese an den Kirchtüren und in den Häusern. Vom Verkaufspreis (10 Pfennig) durften sie 4 Pfennige behalten.

Das Verkaufen der Jungen Front war nicht ungefährlich, da HJ und Polizei oft - zum Teil auch mit Gewalt - gegen "Frontposten" vorgingen. Der spätere DDR-Autor Günter de Bruyn begleitete damals seinen Bruder Wolfgang beim Verkauf der Jungen Front in Berlin. Er habe im Familienkreis gelernt, daß diese Zeitung "eines der mutigsten und geschicktesten Oppositionsblätter" der damaligen Zeit gewesen sei. "Durch die Junge Front / Michael lernte ich, ehe ich richtig lesen konnte, schon Begriffe wie Zensur, Zwischen-den-Zeilen-Lesen und Totalitätsanspruch kennen." Auch der spätere Nobelpreisträger Heinrich Böll gehörte zu den "Frontposten": "...angeworben für diesen Job wurde ich bei Streuselkuchen und Kaffee-Ersatz im Garten des Krankenhauses der Vincentinerinnen in Köln-Nippes durch Otto Vieth."

Josef Rommerskirchen, nach dem Zweiten Weltkrieg erster Bundesführer des Bundes der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) und langjähriger CDU-Bundestagsabgeordneter, war im Jugendhaus Düsseldorf längere Zeit verantwortlich für die Korrespondenz mit den "Frontposten". Der Leitgedanke, den der jungenschaftlich geprägte Rommerskirchen den "Frontposten" zu vermitteln suchte, hat sich in einem Michaelsbuch erhalten, in das der junge Rommerskirchen im Juli 1935 eintrug: "wir jungen, hart wie der Stahl des schwertes, mit MICHAEL zum sieg - wir sind sein schwert".

In der Begründung des endgültigen Verbots heißt es: "Die Nichterfüllung der jedem Verlag gesetzten nationalsozialistischen Aufgabe zeigt sich im Michael in auffallendem Fehlen jeglichen nationalsozialistischen Gedankengutes..." Reichspropagandaminister Goebbels wollte zunächst von dem Verbot absehen: "Macht erst einmal den Michael nach, und dann sprechen wir darüber." Dann aber gab er seine Zustimmung, um dieses "Sprachrohr der jungen Kirche", das weit über den betont katholischen Bereich hinaus Beachtung gefunden hatte, zum Verstummen zu bringen. 1948 konnte Michael wieder als "Wochenzeitung junger Deutscher" erscheinen, es gelang der Zeitung aber nicht mehr, den früheren Rang zu erreichen. Ende 1955 wurde das Blatt eingestellt.


 
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