© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002

 
Kampf um die Straße
Dirk Schumanns Untersuchung der politischen Gewalt in der Weimarer Republik
Claus-M. Wolfschlag

Im Essener Klartext-Verlag erschien nun eine überarbeitete, an der Universität Bielefeld eingereichte Habilitationsschrift des DFG-Stipendiaten Dirk Schumann, die sich der Straßengewalt in der Weimarer Republik angenommen hat. Der Titel des Buches ist jedoch etwas irritierend, da Schumann seinen Blick nur regional auf das Gebiet von Sachsen-Anhalt fokussiert. Dennoch bietet die Arbeit einen tiefen Einblick in die Grundmuster gewalttätiger politischer Auseinandersetzung in Deutschland. Interessant ist dabei, durch die Betrachtung des Geschehens Parallelen zur heutigen Praxis "antifaschistischer" Aktionen zu ziehen.

Demonstrationen, Umzüge und Saalveranstaltungen rechtsgerichteter Gruppen wurden demnach bereits zu Weimars Zeiten gezielt gestört und gewaltsam angegriffen. Hierbei waren Anfänge von "Demonstrationstourismus" aus dem Umland anreisender Gesinnungsgenossen auszumachen. Es kam zu Angriffen auf rechte Führungsfiguren, die teilweise gezwungen wurden, bei linken Umzügen mit Galgen oder roten Krausen um den Hals und Schmähkappen auf dem Kopf mitzumarschieren. Schwarz-weiß-rote Vereinsfahnen wurden des öfteren als Trophäen gestohlen und öffentlich verbrannt. Auf rechte Aktionen folgten in der Regel stets Gegenaktionen von linker Seite. Legenden vom geheimen Pakt zwischen "Faschisten" und Polizei machten dabei in der kommunistischen Presse die Runde. Schließlich entwickelten sich mit zunehmender Aufrüstung und Radikalisierung rechter (später fast ausschließlich nationalsozialistischer) Kampfgruppen regelrechte Schlachtszenarien.

Vergleichbar mit heutigen Konflikten zwischen "neo-antifaschistischen Lichterketten-Freunden" und "Autonomen" kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Sozialdemokraten und "Rotfrontkämpfern" um das Gewaltquantum beim "Kampf gegen rechts". Motivationsmuster wie die Sorge um die Zukunft des Staates oder die Empörung angesichts von Blutopfern aus den eigenen Reihen spielten dabei eine große Rolle. Vor allem der Mord an Reichsaußenminister Walther Rathenau erschütterte die Öffentlichkeit und führte zu vergleichbaren Reaktionen in der Presse und bei den demonstrierenden bürgerlichen Massen wie die fremdenfeindlich motivierten Brandanschläge von Rostock oder Solingen in den neunziger Jahren. Die "rechte Gewalt" führte zum großangelegten Massenbündnis "gegen Rechts", das von Kommunisten über die sozialdemokratische Linke bis zum liberalen Bürgertum reichte.

Es ging bei diesen Konfrontationen allerdings nicht primär um körperliche Mißhandlungen, sondern vor allem um Symbole, um die öffentliche Demütigung politischer Gegner und das Geltendmachen des eigenen Anspruchs auf Beherrschung des öffentlichen Raumes. Gewalt war dabei ein Element von ritualisierten Eskalationsverläufen, die Diskrepanzen zwischen politischen Lagern erst im Laufe der Weimarer Republik zusehends verhärteten.

So interessant das von Schumann zusammengetragene Material dabei erscheint, so sehr muß man allerdings erkennen, daß der Historiker ein Kind seiner Zeit ist. Er bemerkt kaum die Widersprüche zwischen seinen Thesen und dem von ihm ausgebreiteten Material, das zahlreiche Beispiele roten Terrors jener Tage dokumentiert. Schumann zeigt sich sehr sensibel gegenüber den KPD-Kämpfern, denen vorgeblich ungerechtfertigte Ängste in der Weimarer Presse gegenübergestanden hätten. Gelegentlich grenzt seine Sensibilität sogar an Verharmlosung. Eine "hysterische Bolschewismusfurcht" hätte demnach die Gewalt gegen die politische Linke geschürt. Das Bewußtsein der Zeitgenossen, das durch den "Klassenmord" im Sowjetstaat beeinflußt wurde, übersieht Schumann. Gleichwohl wurde seinerzeit der Nationalsozialismus von Medien und Bürokratie in relativ starkem Maße verharmlost und geschont.

Weitaus unkritischer wertet der Autor dagegen belastende Aussagen gegen die politische Rechte. Zwar bemüht er sich faktenreich und sachlich um die Darstellung der Abläufe in Sachsen-Anhalt. Immer wieder jedoch scheint allzu durch, daß seine Sympathie der politischen Linken gehört, wenn er zum Beispiel linksgerichtete Aktivitäten als "Widerstand gegen die von den rechten Verbänden ausgehende Gewalt" zu rechtfertigt. Zweifellos verschärfte sich die politische Auseinandersetzung, als sich der radikalen Linken organisierte rechte Konkurrenz entgegenstellte, zunächst der "Stahlhelm", später die weitaus radikalere und brutal agierende "SA".

Nach Schumanns Diktion sei die "extreme Rechte die wesentliche treibende Kraft" bei den Weimarer Straßenkämpfen gewesen - eine im Licht der einst lebhaft geführten Diskussion um die Forschungen des Nolte-Schülers Christian Striefler etwas simple These. Schon als Hauptverantwortliche der Kämpfe nach der Novemberrevolution werden bei Schumann nicht revolutionäre Spartakisten, sondern "nicht ausreichend deeskalierende" Regierungstruppen ausgemacht. Der KPD wirft er nur vor, durch taktisch unkluges Verhalten ihrer Führung und der Heißsporne in den Jugendverbänden bürgerliche Ressentiments genährt und somit zur Akzeptanz der Nationalsozialisten beigetragen zu haben. Eine reale Gefahr für die Demokratie habe die KPD nicht dargestellt. Der Rechten wird dagegen bereits bei Äußerungen wie der des "Stahlhelm"-Führers Theodor Düsterberg von dem "Kampf um die Gleichberechtigung auf der Straße" ein "unverhohlenes Bekenntnis zum gewaltsamen Straßenkampf" attestiert. Vorgänge, die Schumann bei der Rechten kritisiert, spielt er bei der Linken als "Front machen" der "Arbeiterbewegung gegen ... Kräfte, die die neue Republik nicht akzeptierten" herunter. Seine einseitige Schuldzuweisung resultiert letztlich aus der fatalen Vorstellung, es gäbe eine Art Naturrecht der Linken, den öffentlichen Raum zu dominieren.

Diese Vorstellung Schumanns zeigt erstaunliche Nähe zur gegenwärtigen Bemühung um das NPD-Verbot. Sicherlich trägt die NPD mit ihrem an Weimar erinnernden Konzept eines "Kampfes um die Straße" nicht zur Befriedung des öffentlichen Raumes bei. Sie wird deshalb auch juristisch verfolgt. Ein staatliches Verbots-Vorgehen gegen Gruppierungen wie DKP, VVN, MLPD oder andere Zirkel der radikalen Linken, die ebenfalls keine Zurückhaltung im Kampf um die Straße bei Kundgebungen an den Tag legen, vermißt man statt dessen. Der politischen Linken wird der öffentliche Raum scheinbar als grundrechtlich garantierte Spielwiese überlassen.

Fototext: Straßenunruhen 1918-1932: Kommunisten und SA-Männer lieferten sich regelrechte Schlachten

Dirk Schumann: Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918-1933. Kampf um die Straße und Furcht vor dem Bürgerkrieg. Klartext-Verlag, Essen 2001, 400 Seiten, 45 Euro


 
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