© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/02 12. April 2002


Politik soll Spaß machen
von Baal Müller

Zwar ist der Bundeskanzler nicht gerade für seinen Humor bekannt, und er versteht insbesondere bei Spekulationen über die Echtheit seiner Haarfarbe überhaupt keinen Spaß, aber das Komische hat trotzdem Konjunktur in der Politik unserer Spaßgesellschaft, wie zwei aktuelle Beispiele verdeutlichen: Den legitimen, wenngleich nicht immer geschickten Protest der CDU/CSU gegen den nach Ansicht der meisten Verfassungsrechtler grundgesetzwidrigen Bundesratsbeschluß zum Zuwanderungsgesetz meinten dessen Befürworter häufig damit erledigen zu können, daß sie ihn als "Komödie" bezeichneten. Mit anderen Worten: Wer es wagt, die Politik der Bundesregierung zu kritisieren, spielt eine Art Kasperletheater.

Noch interessanter ist eine neue Form von "Kreativprotest" gegen Rechtsradikalismus. Nachdem ein Rockkonzert "gegen Rechts" mit Udo Lindenberg vor wenigen Wochen nur 2000 Besucher anlockte, haben Politiker, Prominente, Kirchen und andere Organisationen einem Neonazi-Aufmarsch am 6. April beim Völkerschlachtdenkmal jetzt eine Spott-Kampagne entgegengesetzt, zu der sie, wie der Spiegel am 25. März berichtete, die Bürger aufriefen, sich "mit Tröten, Lachsäcken und Konfetti" den Rechtsradikalen entgegenzustellen, da der herkömmliche Protest nichts nutze.

"Nichts trifft Diktaturen so sehr wie Hohn und Spott," sagte der Sänger der Leipziger Band "Die Prinzen", Sebastian Krumbiegel, zu der Aktion, die unter dem Motto "Leipzig lacht - über den Karneval in Braun" stand. Recht hat er ja; nur leider mißachtet er zweierlei: Erstens stellt die Handvoll Rechtsradikaler, die in Leipzig "aufmarschiert" sind, keine Diktatur, sondern nur eine kleine Minderheit dar, die von ihrem Demonstrationsrecht auch dann Gebrauch machen darf, wenn sie einem Herrn Krumbiegel nicht sympathisch ist, und zweitens ist es gerade für Diktaturen kennzeichnend, Demonstrationen von oben zu organisieren und dem Bürger vorzuschreiben, worüber er zu lachen habe und worüber nicht.

Die subversive Kraft des Komischen geht aber stets von unten aus, indem es etwa die allzumenschlichen Schwächen staatlicher Machthaber herausstreicht, und läßt sich nicht verordnen. Hätten die rechtsextremen Demonstranten etwas mehr Sinn für Humor, dann würden sie sich vielleicht Politikermasken überziehen und den zivilcouragierten Pseudo-Humor über sich selbst und seine Repräsentanten lachen lassen. Der selbstreferenzielle Charakter solchen Polit-Klamauks würde dadurch umso deutlicher: Die politisch-mediale Meinungselite inszeniert sich beständig selbst und legitimiert ihre Diskursherrschaft durch den ständigen Aufbau einer Bedrohung "von Rechts".

Das ist für sich genommen noch nichts Neues. Neu ist allerdings der karnevaleske Umgang mit dem "rechten Spuk", dem man bis vor kurzem nur mit Lichterketten, Händchenhalten und sentimentalen Feierstunden begegnete. Hätte man sich früher wohl dem Verdacht ausgesetzt, den Rechtsradikalismus zu "verharmlosen", wenn man über ihn gelacht hätte, so soll man jetzt auf Anweisung lachen. Der Aufstand der Anständigen wird zu einem Aufmarsch der Lustigen - freilich nur pro forma, denn die liberale Spaßgesellschaft paßt genau auf, worüber man lacht.

Die Politik nimmt, indem sie den Humor tendenziell monopolisiert, einerseits Züge einer großen, autoreferenziellen Komödie an; andererseits wird durch die aufsaugende Instrumentalisierung des politischen Humors zum "Happening" dessen kritisches Potential verwässert. Der Niedergang des politischen Kabaretts, sein Versickern im politisch korrekten Einheitsbrei, ist die Kehrseite dieser Verspaßung der Politik. Echtes Kabarett anstelle der selbstgefällig-angepaßten Langeweile eines Dieter Hildebrandt ist aus folgenden Gründen nicht mehr möglich: Erstens: Das Kabarett war traditionell immer links. Es lebte von der Utopie einer "besseren", freieren, gleicheren, sozialistischen Gesellschaft, vor deren antizipiertem Hintergrund man die unaufgeklärten, stupiden und korrupten Politiker der Gegenwart lächerlich machen konnte. Obgleich man gewöhnlich versicherte, damit nicht den "real existierenden" Sozialismus zu meinen, fungierte er doch als eine Art Abglanz der künftigen besseren Welt, so daß sein Untergang zweitens das intellektuelle Überlegenheitsgefühl desavouierte, mit dem man den politischen Gegner als Trottel karikieren konnte. Zwischen mehreren gleichrangigen und sich nur in Nuancen unterscheidenden Alternativen innerhalb desselben Systems erscheint dieser elitäre Gestus anachronistisch.

Drittens ging mit der ideologischen Alternative das sich als gegenkulturell verstehende Milieu zugrunde, welches der Kabarettist gleichsam als Resonanzraum benötigt. Die Verulkung der Obrigkeit muß vor einem gleichgesinnten Publikum stattfinden und darf nicht erst vom Künstler durch Argumente, womöglich noch mit Schweißperlen auf der Stirn, verteidigt werden.

Aus diesen Aspekten ergibt sich viertens die klassische Kabarettsituation mit ihrer klaren Rollenverteilung von "rechter Obrigkeit" und linker "Gegenöffentlichkeit". Werden diese Differenzen aufgehoben bzw. mit einer einzigen linksliberalen Soße zugeschüttet und fehlt zudem noch der Kohlsche Kontrast von gelegentlicher patriotischer Rhetorik und kleinbürgerlichem Habitus, weil, wie in der Schröderschen Neuen Mitte, die Anspruchslosigkeit der Ziele mit der Banalität des politischen Personals harmonisch zusammenfällt, dann kommen dem linken Kabarettisten die Feindbilder abhanden, an denen er sich reiben kann, und er tritt nur noch ins allgemeine Laufrad im Kampf gegen Rechts.

Warum aber haben die Konservativen oder gar die Rechten daraus so wenig Kapital schlagen können? Bietet denn die politische Korrektheit so wenig satirische Angriffsfläche, daß sich nur einige wenige betont unpolitische Fernsehunterhalter an ihr abarbeiten können? Der traditionellen Rechten steht sicher ihr habitueller Dezisionismus, ihre Orientierung am Ernstfall, im Wege, die sie immer aufs Ganze gehen und das Ganze als bedroht empfinden läßt; zumal der Faschismus wie der Sozialismus für das Komische nur dann etwas übrig hat, wenn er sich noch in der "Kampfzeit" befindet und es zur Einschüchterung des Gegners verwenden kann: Armin Mohler beschreibt in seinem "faschistischen Stil" dessen spezifische Komik - "Faschisten können lachen" - als Nebeneffekt seines Kampfstils, der "manchmal auch ins Makabre und Groteske" abgleitet, zum Beispiel wenn "die italienischen Faschisten politischen Gegnern Rizinus einflößten und sie dann, wenn das Öl wirkte, auf belebten öffentlichen Plätzen aus dem Wagen stießen." Wenn Komik - soweit man hier davon reden kann - ausschließlich ein Mittel des Kampfes ist, so wird sie überflüssig, wenn dieser gewonnen und die Macht errungen ist. Dann - und nicht bei einer liberalen Spaßdemo - zeigt sich, daß Diktaturen Spott nicht vertragen.

Friedrich Georg Jünger hat in seinem brillanten Essay "Über das Komische" dessen Erscheinungsformen mustergültig analysiert und aus einer Grundsituation, dem komischen Konflikt, hergeleitet. Dieser setzt zunächst, wie der tragische, eine allgemein akzeptierte Weltordnung voraus, eine ästhetische und moralische Harmonie des Kosmos, vor der sich das Häßliche, Niedrige und Gemeine negativ abheben - weshalb das anything goes postmoderner Beliebigkeit mit seiner Einebnung aller Unterschiede keine Komik mehr, sondern nur noch den Klamauk akzeptieren kann. Während im tragischen Konflikt jedoch eine Ebenbürtigkeit des edlen Helden mit seinem Schicksal, in das er sich schuldlos verstrickt, besteht, beruht die komische Situation auf einem Mißverhältnis zweier Parteien: "Komisch wird der Wolf, der bei der Verteilung der Beute die Größe der Stücke nicht nach dem Verhältnis der Kräfte bemißt, die zwischen ihm und dem Löwen bestehen, sondern seiner Gier folgt und dafür gezüchtigt wird. Ins Komische fällt jener Reichsfreiherr, der den preußischen König auf seinem zwerghaften Gebiet in der pomphaften Art eines gleichberechtigten Herrschers empfängt." Dieses Ungleichgewicht muß für den Betrachter offensichtlich, darf aber keinesfalls dem Schwächeren der beiden Antagonisten bewußt sein, denn die Komik besteht gerade darin, daß dieser sich selbstvergessen über seine Natur erhebt, den Stärkeren töricht oder frech herausfordert und von ihm in unangestrengter Überlegenheit wieder auf sein Normalmaß zurechtgestutzt wird: Komisch ist der Zwerg, der den Riesen zum Zweikampf fordert, von ihm aber im Genick gepackt wird und hilflos mit seinem kleinen Schwert in der Luft herumfuchtelt; komisch ist auch, wer die Macht des Zeitlichen verkennt, die alte Frau, die sich wie ein junges Mädchen verhält, der Greis, der sich in der Mode seiner Jugend herausputzt, oder Don Quijote, der Ritter in einer unadligen modernen Zeit. Ebenso wichtig ist aber auch, daß die "Replik", die nach F.G. Jünger auf die "Provokation" erfolgt, angemessen ist. Fügt der Stärkere dem Schwächeren unverhältnismäßig viel Leid zu, schlägt der Riese den Zwerg tot und gehen die komische Alte, der geckenhafte Greis an dem Mißverhältnis zu ihrer Umwelt zugrunde, wird die Heiterkeit durch andere Gefühle, etwa Empörung oder Mitleid, erstickt. Aus der Forderung nach Angemessenheit der komischen Replik ergibt sich, daß sowohl die zur Schau gestellte, haushohe Überlegenheit der Zivilgesellschaft gegenüber ein paar versponnenen Marschierern fast ebensowenig komisch ist wie der totalitäre Terror gegen einen wehrlosen politischen Gegner oder der machtgestützte Hohn, der schuldlos Angeklagten bei stalinistischen oder nationalsozialistischen Schauprozessen entgegenschlägt.

Umgekehrt erweist sich hier, im Falle der Diktatur - aber auch am Erscheinungsbild korrupter Politiker in der zum Ochlokratischen absinkenden Demokratie -, die Subversion des Komischen als Richtigstellung: Karikiert ein Komiker etwa einen Diktator, wie er seine pathetischen Reden geflissentlich einstudiert, läßt er ihn mit geschwollener Brust ans Rednerpult schreiten und dabei über ein Kabel stolpern, oder entlarvt er den moralischen Gestus mancher demokratischer Politiker als ideologisierte Besitzstandswahrung, dann läßt er einen Menschen im Sinne der komischen Provokation zunächst anschwellen, um ihn nach der Replik wieder zusammenschnurren zu lassen.

Die verschiedenen Gattungsformen des Komischen können alle einen politischen Bezug entfalten, wenn man ihrem spezifischen Konflikt eine politische Ordnung zugrunde legt. Allgemein bekannt ist der politische Charakter der Karikatur, die sich zumeist des Komischen der menschlichen Gestalt bedient, dieses in einem auffallenden Merkmal entdeckt und es übertreibend herausstellt. Hier besteht die Provokation in der physiognomischen Abweichung von der Norm und die Replik in deren überzeichnender Explikation.

Ein Beispiel ist die angebliche Birnenform des Kopfes von Helmut Kohl, deren Thematisierung an genau dasselbe Phänomen bei dem französischen König Louis Philippe anschließt, während dessen Regentschaft es ebenfalls schon genügen konnte, eine Birne an eine Mauer zu zeichnen, um den Bezug zum Monarchen herzustellen und Assozziationen hinsichtlich seiner geistigen Fähigkeiten anzuregen. Das Komische erreicht, wie F. G. Jünger bemerkt, in der Karikatur "seine bösartigste, satirisch schärfste, unversöhnlichste Form, in der die Absicht, den Gegner lächerlich zu machen, oft eins wird mit dem Willen, ihn zu vernichten", und das politische Kabarett bedient sich oft der sprachlichen und mimischen Entsprechungen der Karikatur, wie zum Beispiel der Parodie, die an einer Form festhält und ihr einen anderen, verfremdeten und banalisierten, Inhalt unterschiebt, oder der Travestie, die einen ernsthaften Inhalt in ein albernes Gewand kleidet.

Versöhnlicher ist eine andere Form des Komischen, der Humor, zu dessen vielfältigen Ausprägungen es gehört, sich am Kleinen, Häßlichen, Kuriosen und Beschränkten auf eine wohlwollend-interessierte Weise zu ergötzen, es nicht wegen seiner Unvollkommenheit zu verteufeln, sondern es in seiner Besonderheit zu achten. Wenn das Beschränkte im Politischen als das Gegenwärtig-Konkrete, das Wahre und Richtige hingegen als Irreal-Abstraktes wahrgenommen wird, ergibt sich daraus eine gesunde Neigung des Konservativen zum Humor, des Linken zur nörgelnden Besserwisserei. Überwiegt beim Konservativen indes sein verderblicher Hang zur Nostalgie, so läuft er Gefahr, zum larmoyanten Jammerer zu werden, während der Linke als Parteigänger von "Fortschritt" und "Zukunft" zu triumphieren scheint - allerdings nur solange, wie er selbst an die Verheißungen des Fortschritts glaubt bzw. sie von der Geschichte noch nicht widerlegt wurden - dann blüht das Kabarett, und die Scharfrichter wetzen ihre Beilchen.

Im bewußten Gegensatz dazu hat Thomas Mann die Verwandtschaft der Ironie mit der Haltung des Konservativen beschrieben, der sich in schnellebiger Zeit als Wächter des Althergebrachten auf verlorenen Posten versetzt sieht. Apodiktisch heißt es in den "Betrachtungen eines Unpolitischen": "Der Ironiker ist konservativ." Einem oberflächlichen Verständnis von Konservatismus dürfte dieser Satz merkwürdig erscheinen, hält es doch den Konservativen gerade nicht für jemanden, der sich hinter der Maske der Ironie versteckt, mit Sein und Schein, Bürgerlichkeit und Künstlertum, Identität und Differenz jongliert. Zwar kennt Thomas Mann auch den Konservativen ohne Ironie, den Tyrannen der Identität und, in seiner Sprache, den Verfechter des Lebens, "welches nur sich selber will", und der nur die Kehrseite des intellektualistischen, aufklärerischen Zivilisationsliteraten darstellt, dem das Leben nichts und der abstrakte Geist alles bedeutet - aber der eigentliche Konservative ist der Ironiker. Er spricht "die Stimme des Geistes, welcher nicht sich will" - wie der realitätsblinde Utopist - "sondern das Leben". Leben und Geist, Konkretes und Abstraktes, sind aber für Mann keine unversöhnlichen Gegensätze, sondern aufeinander hingeordnet; und dasjenige, was sie vermittelt, ist der Eros. Da dieser aber, entsprechend der Lebenserfahrung Thomas Manns, keine dauerhafte Verbindung, sondern nur eine "kurze, berauschende Illusion" bewirkt, verbleibt er im Uneigentlichen, Ironischen. Ironie ist somit geistige Erotik, Konservatismus erscheint als erotische Ironie.

Außer dem Mannschen Konservativen, der es sich ganz behaglich in der Rolle des distinguierten Betrachters eingerichtet hat, gibt es noch einen anderen, geistesgeschichtlich prominenteren Ironiker: Sokrates, das Urbild des Philosophen. Auch er ist ein Außenseiter und Meister des Uneigentlichen, weil er als Denker die Gesetze seiner Polis hinterfragt, anstatt sich vorbehaltlos einzufügen; auch er ist ein Erotiker, aber sein Eros ist kein kurzer rauschvoller Kick, sondern die Liebe zur Wahrheit. Diese liegt weder im Vergangenen, wie für den Nostalgiker, noch im Fortschrittlich-Künftigen, wie für den linken Kabarettisten, sondern im Sein als solchen und in seiner Gesamtheit, von der wir immer nur Ausschnitte und Abschattierungen erkennen können. Seine Ironie ist daher nicht nur das spielerisch verbrämte Rückzugsgefecht des kultivierten Konservativen vor der Banalität seiner Zeitgenossen, sondern sie folgt aus einer Überlegenheit, die nicht in machtgestützter Diskurshoheit, sondern im richtigen Wissen besteht, so fragwürdig und wenig dies auch immer sein mag. Eine solche offensive Ironie könnte auch im erlaubten Ulk der Spaßgesellschaft noch angenehm auffallen.

 

Baal Müller hat Philosophie und Germansitik studiert und arbeitet zur Zeit an seiner Promotion über Ludwig Klages und den George-Kreis.


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