© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002


Recht auf Taubheit
von Angelika Willig

Mit Gentechnik hat es nichts zu tun. Noch nicht. Daß weibliche Homosexuelle mit Hilfe florierender Samenbanken zu (meist sehr engagierten) Müttern werden, gehört in den Vereinigten Staaten längst zur Normalität. Vor fünf Jahren hat ein gehörloses lesbisches Paar (beide beruflich abgesichert) die Samenbank mit einer Sonderbestellung angeschrieben. Das Kind sollte gehörlos geboren werden. Defekte Modelle sind nicht am Lager und können - weil wir uns im vorliegenden Fall noch diesseits des genetischen Rubicons befinden - nicht hergestellt werden. Ein Freund aus einer Familie mit starker erblicher "Belastung" zeigte sich schließlich hilfreich, und die kleine Jehanne beherrscht inzwischen die Taubstummen-Sprache fast so perfekt wie ihre "Mütter". Deren zweites taubes Baby hat nun empörten Protest hervorgerufen. Wenn es verboten ist, Hochbegabte oder Langbeinige heranzuzüchten, kann es dann mit Blinden und Lahmen erlaubt sein?

Die Empörung ist verständlich; mit den Argumenten allerdings wird es schwierig. Wenn Homosexualität, obwohl naturwidrig, als individuelles Merkmal akzeptiert wird, warum nicht auch die Taubheit? Von einer "schönen eigenen Kultur", in der sie leben, schwärmen die Frauen, die auf der Gehörlosen-Universität in Washington studiert haben. Mit dem gleichen Recht etablieren sich auch andere Minderheiten. Einziger Einwand bleibt die liberale Grundregel, nach der die eigene Freiheit dort aufhört, wo die des anderen - in diesem Fall des Kindes - anfängt. Auf dieser Basis ließe sich immerhin diskutieren.


 
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