© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Wissen
Karl Heinzen

Gerade in einem Jahr, in dem schon wieder eine Richtungsentscheidung für unser Gemeinwesen ansteht, sind konstruktive Signale aus der freien Wirtschaft wichtig: Wir sollten den Standort Deutschland nicht immer nur schlechtmachen, sondern endlich auch einmal würdigen, daß das "Enrichissez-vous!" der bürgerlichen Demokratie bei uns nicht bloß ein frommer Appell ist, sondern von so manchen durchaus erfolgreich beherzigt wird. Die Strukturen sind keineswegs so verknöchert, daß einfallsreiche Menschen ihren Weg zum Glück nicht finden könnten. Allerdings wird ihnen das Leben dann oft doch wieder schwer gemacht, weil Inkonsistenzen in unserer mit Altruismen durchsetzten Werteordnung beamteten Neidhammeln die Legitimation an die Hand geben, in vermeintlich höherem Interesse die Rechte der Erfolgreichen zu beschneiden. Hier Abhilfe zu schaffen, ist Aufgabe einer von wem auch immer betriebenen Politik, die Marktkräfte freizusetzen verspricht.

Einer jener Menschen mit Ideen, die an ihrem Glück gehindert werden sollen, ist offenbar Roland Oetker. Als Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) weiß er nicht bloß, wie uninformierte Kleinanleger geprellt werden, sondern natürlich auch, wie es wohl informierte Großanleger zu etwas bringen können. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf unterstellt ihm nun, seine theoretische Einsicht in die Funktionsweise des Kapitalmarkts in der Praxis erprobt zu haben. Seine Kenntnis von zwei anstehenden Fusionen sei von ihm zu Transaktionen "im Millionenbereich" mißbraucht worden. Auch wenn es nicht zur Anklageerhebung kommen und der Ruf Oetkers als Anwalt der kleinen Leute damit unbefleckt bleiben sollte, ist es bereits fragwürdig und beschämend genug, daß in einer Gesellschaft, in der Wissen angeblich die wertvollste Ressource sein soll, die Anwendung derselben unter Strafe gestellt wird. So etwas kann sich nur ein "Gesetzgeber" ausdenken, der nicht begriffen hat, wie Marktwirtschaft wirklich funktioniert.

Der Erfolg winkt jenen, die Leistung nicht als Pflichterfüllung mißverstehen, sondern Vorsprünge gegenüber anderen aufzubauen vermögen. Exklusives Wissen, eben Insiderkenntnisse also, die sich profitabel umsetzen lassen, bevor alle anderen Wind von der Sache bekommen haben, sind der Motor der ökonomischen Entwicklung. Ohne diese Chance verlören gerade die Aktivposten der Gesellschaft, die sich ihre Unternehmungslust nicht durch Skrupel nehmen lassen wollen, die Hoffnung auf Bereicherung.

Wissen fällt aber nicht vom Himmel, sondern ist das Resultat gewachsener und gepflegter Beziehungen. Zu einer Stigmatisierung von "Insidergeschäften" besteht daher keine Veranlassung - auch dann nicht, wenn Kapitalmärkte berührt sind. Daß sie dennoch gang und gäbe ist, hat einen betrüblichen Grund: Die freie Marktwirtschaft gehört in unserem Land zwar zur Verfassungsrealität. Sie ist aber leider kein Verfassungsanspruch.


 
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