© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/02 19. April 2002

 
Meldungen

Gedächtnis der Nation wiedergewinnen

HAGEN. Franzosen wollen bei ihrer "Erinnerungsarbeit" das "verlorengegangene Nationalgedächtnis" wiederentdecken, um die nationale Identität zu stärken. Deutsche prüfen, was historisch überhaupt noch "interessant" sei. Diese Bilanz zieht Constanze Carcenac-Lecomte in einem kaum von begrifflicher Schärfe geprägten Vergleich zwischen französischer und deutscher Erinnerungskultur (Bios.Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History, 2/01). Sie wirft dabei ein Licht auf das französische Projekt der "Gedächtnisorte", das Pierre Nora seit 1984 zum Zweck der Identitätsstiftung vorantreibt, ohne daß dies in Deutschland über einen kleinen Kreis von Historikern hinaus bislang wahrgenommen wurde.

 

Ende des französischen Sonderwegs

TÜBINGEN. Über das Ende des französischen Sonderwegs in der Frage, ob das Leben für ein behindertes Kind einen ersatzfähigen Schaden darstellt, reflektiert der Frankfurter Anwalt Thomas Winter (Juristenzeitung, 7/02). Die Nationalversammlung hat zwar inzwischen ein Gesetz verabschiedet, das die Entscheidung der obersten Zivilrichter korrigiert, die einem Behinderten Schadensersatz dafür zusprachen, daß er geboren wurde. Winter erörtert die Möglichkeit eines solchen Urteils, läßt aber eine positive Entscheidung daran scheitern, daß niemand eine negative Grenze bestimmen könne, jenseits derer das Leben definitiv unerträglich, also "lebensunwert" sei.

 

Hinter den Pyrenäen beginnt schon Afrika

HEIDELBERG. Spaniens Verankerung im Bewußtsein der Europa außerhalb der iberischen Halbinsel stellt ein relativ junges Phänomen dar. Wie der Augsburger Hispanist Thomas Bodenmüller nachweist (Germanisch-Romanische Monatsschrift, 4/01), herrschte noch bis in die Buchtitel der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts die Auffassung vor, Afrika beginne hinter den Pyrenäen. Das war Folge eines seit dem 16. Jahrhundert verbreiteten, negativ besetzten Spanienbildes, der "Schwarzen Legende", die diesem Volk unermeßliche Grausamkeit, religiösen Fanatismus und Weltherrschaftsambitionen unterstellte. Bodenmüller untersucht das Fortwirken dieser Legende in der Reiseliteratur bis 1800, beachtet auch den großen Anteil englischer Autoren, übersieht aber das politische Interesse, das die konkurrierende angelsächsische Weltmacht an solcher Legendenfabrikation hatte.

 

Friedrich Lange und der völkische Deutschbund

KÖLN. Trotz der "überberstenden Literaturfülle", die in den letzten dreißig Jahren bei der "Antisemitismusforschung" im deutschen Kaiserreich zu verzeichnen ist, glaubt Ascan Gossler mit seinem Beitrag über Friedrich Lange (1852-1917) und die "völkische Bewegung" noch Neues bieten zu können (Archiv für Kulturgeschichte, 2/01). Lange, einer der "eifrigsten Publizisten der wilhelminischen Epoche" und Gründer des "Deutschbundes", hat zwar noch keinen Biographen gefunden, vermag aber als völkischer Prophet, wie Gossler einräumt, kaum etwas zu unserer Kenntnis der "zentralen Gedankenwelt" des extremen Nationalismus beizutragen. So repetiert Gossler die bekannten Interpretationsschemata, um Langes Deutschbund als "Brutstätte einer überrationalen Verinnerlichung des nationalen Erlebnisses" zu denunzieren.

 

Erste Sätze: Wer erst den Stern gefunden hat, der ihm in der Fremde leuchten soll, der scheidet leicht.

Karl Eugen Gass: Pisaner Tagebuch. Aufzeichnungen - Briefe. Heidelberg/Darmstadt 1961


 
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