© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/02 26. April 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Versöhnungsgeste
Karl Heinzen

Anhand einiger Fotos führt die "Bild"-Zeitung den Beweis, daß Stefan Effenberg am Sonntag, dem 21. April 2002 um 13.59 Uhr gemeinsam mit zwei Kindern beim Drive-In der McDonald's-Filiale in der Drygalski-Allee in München-Solln vorgefahren ist. Dazu hat er den hellbraunen Opel Omega Kombi und nicht den silbernen Ferrari-Cabrio benutzt. Das genaue Menü konnte nicht identifiziert werden. Es handelte sich um mindestens drei Getränke und eine Tüte unbekannten Inhalts.

Möglicherweise ist diese menschlich-sympathische Aktion als eine Versöhnungsgeste an die Adresse all der vielen seiner sozial schwachen Fans aufzufassen, die in den vergangenen Tagen an ihm irre geworden sind. Denn natürlich hätte ein Stefan Effenberg mit einer Gage von umgerechnet 10.958 Euro am Tag, die ihm allein aus seinem Vertrag mit dem FC Bayern München zusteht, ein beliebiges Essen seiner Wahl auch zu Hause in seiner Villa anliefern lassen können. Genau dies hat er aber nicht getan. Stefan Effenberg hat sich nicht versteckt. Vielleicht wollte er gesehen werden. Vielleicht wollte er einer feindlichen Welt, die ihn zum zynischen Parvenü abstempelt, demonstrieren: Schaut her, ich könnte einer von Euch sein. Auch ich unternehme gerne etwas mit meinen Kindern und würde das noch viel öfter tun, wenn ich nicht dauernd für Euch alle auf dem Rasen stehen oder für die Sponsoren der Bayern den Pausenclown markieren müßte. Auch ich kenne den Hunger, und ihn zu stillen, kostet mich nicht weniger als Euch. Gewiß, ich habe dann immer noch ein wenig mehr im Portemonnaie als die viel zu vielen, mögen sie nun arbeitslos sein oder nicht. Ihr könnt deshalb aber nicht von mir verlangen, daß ich mehr esse! Ich will doch nicht so aussehen wie Diego Maradona! Wer gäbe einem wie mir dann noch ein Gnadenbrot?

Das Versöhnungsangebot eines der letzten deutschsprachigen Fußballspieler von internationalem Format darf man nicht engstirnig ausschlagen. Insbesondere Arbeitslose sollten ihre Verbrauchermacht im Fußballgeschäft realistisch einschätzen und auch einmal würdigen, daß Stefan Effenberg ihnen immer wieder geholfen hat, ihr zugegebenermaßen unattraktives Los wenigstens für ein paar Momente zu vergessen. Womit haben sie ihm dies entgolten? Haben sie sich nicht vielmehr die Freizeit, in der sie sein Spiel verfolgen konnten, auch aus den von ihm gezahlten Steuern alimentieren lassen?

Der krampfhafte Versuch, im Fußball die Illusion der Volkstümlichkeit zu wahren, darf nicht zur Sünde wider die ökonomische Vernunft entarten. Auch einem Stefan Effenberg muß es erlaubt sein, eine Meinung zum Ausdruck zu bringen, die seiner sozialen Lage gemäß ist. Man darf darauf vertrauen, daß er ein Gespür dafür hat, sich nicht in schlechte Gesellschaft zu begeben - sonst wäre er schließlich auch "Nationalspieler" geblieben. Seine sozialpolitischen Ansichten werden von vielen Leistungsträgern geteilt, die wissen, was die Gesellschaft ihnen verdankt.


 
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