© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/02 26. April 2002

 
Hauchdünner Sieg an der Donau
Ungarn: Linkes Bündnis gewinnet mit nur zehn Mandaten Vorsprung / Bürgerliche Parteien bleiben stärkste Kraft im Parlament
Alexander Barti

Nach der zweiten Runde der ungarischen Parlamentswahl am 21. April wurde endgültig klar, daß die Sozialisten (MSZP) zusammen mit den linksliberale Bund der Freidemokraten (SZDSZ) eine äußerst knappe Mehrheit von zehn Mandaten im Budapester Parlament haben werden. Die Wahlbeteiligung lag, angefacht von einem beispiellos heftigen Wahlkampf, mit 71,2 Prozent noch über dem Rekord der ersten Runde. Die seit 1998 regierenden Jungdemokraten (Fidesz) unter dem noch amtierenden Ministerpräsidenten Viktor Orbán konnten in der Stichwahl am Sonntag den Trend zwar umkehren, aber für einen Sieg reichte es nicht mehr.

Die Stichwahl entschied über die Direktmandate in 131 von 176 Wahlkreisen, die in der ersten Runde am 7. April noch nicht vergeben worden waren. Insgesamt konnte Fidesz mit seinem Bündnispartner, dem Ungarischen Demokratischen Forum (MDF), 95 der 176 Wahlkreise für sich gewinnen. Die Sozialisten gewannen hingegen 78 Wahlkreise, die Liberalen nur zwei; ein weiterer Wahlkreis wurde von einem gemeinsamen Kandidaten von Sozialisten und Liberalen erobert. Weitere 140 Mandate wurden über 20 Bezirkslisten verteilt; Fidesz-MDF gewann dort 67 Mandate, MSZP 69 und der SZDSZ vier Sitze. Außerdem wurden noch 70 sogenannte "Kompensationsmandate" verteilt, die in etwa den in Deutschland bekannten Überhangmandaten entsprechen; durch sie gewannen die Bürgerlichen nochmal 26 Sitze hinzu, die Sozialisten 31 und die Liberalen 13. Insgesamt - und das dürfte für sie besonders bitter sein - verfügen die Bürgerlichen in dem 386 köpfigen ungarischen Parlament mit 188 Sitzen über die Mehrheit (48,70 Prozent), gefolgt von den Sozialisten mit 178 Sitzen (46,11 Prozent), den Liberalen mit 19 Sitzen (4,92 Prozent) und dem gemeinsamen Abgeordneten von Sozialisten und Liberalen (0,26 Prozent), der de facto die 20. Stimme für den SZDSZ ist. Nicht ausgeschlossen ist der nachträgliche Verlust einer Stimme für die Linken, denn in dem Komitat Borsod-Abaúj-Zemplén gewann der Sozialist György Szabó mit ganzen fünf Stimmen vor seinem Fidesz-Konkurrenten Ferenc Konc, so daß nochmal gezählt werden muß.

Zum neuen Ministerpräsidenten wird Präsident Ferenc Mádl nun den 59jährigen parteilosen Finanzfachmann Péter Medgyessy vorschlagen, der Ende der achtziger Jahre zum Reformflügel innerhalb der Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) gehörte. Medgyessy, der vor der Wende von 1989 sogar dem Zentralkommitee der MSZMP angehörte, stammt aus einer kleinadeligen Familie; sein Urahn Miklós Medgyessy war Sekretär beim Grafen Bethlen in Siebenbürgen. 1947 zog die Familie nach Bukarest, weil Peters Vater an der ungarischen Botschaft arbeitete; Peter lernte dort französisch und rumänisch. 1950 wurde die Familie als politisch unzuverlässig abgelöst und nach Budapest zurückbeordert. Ab 1990 leitete Medgyessy die ungarische Niederlassung der französischen Bank Paribas, 1996 wurde er dritter Finanzminister in der ersten MSZP-SZDSZ-Koalition unter Gyula Horn.

Nach dem Sieg der Linken erklärte Medgyessy letzten Montag, er fühle sich für "15 Millionen Ungarn verantwortlich", und wiederholte damit eine Aussage, für die Orbán 1998 stark kritisiert wurde; in Ungarn selbst leben nämlich nur zehn Millionen Bürger, weitere fünf Millionen haben ihre Heimat in den umliegenden Staaten. Neuer Außenminister - und eigentlicher "Regierungschef" - wird László Kovács, der diesen Posten schon zwischen 1994-98 in der Ära Horn innehatte. Eines seiner Ziele ist die Neuverhandlung einiger bereits abgeschlossener EU-Kapitel; Kovács möchte zum Beispiel den Verkauf von Grund und Boden an Ausländer schneller möglich machen, dafür aber mehr Geld aus Brüssel bekommen und die Arbeitnehmerfreizügigkeit schneller verwirklichen.

Die an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterte Rechtspartei MIÉP hat inzwischen 565 Fälle von Unregelmäßigkeiten in 370 Wahlkreisen angezeigt und fordert die komplette Neuzählung der Wahlstimmen.


 
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