© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/02 26. April 2002

 
Der Perón von Caracas kehrte zurück
Venezuela: Der linksnationalistische Präsident Hugo Chávez übersteht den "demokratischen Putsch"
Carlos E. Izquierda

Im Anschluß an drei turbulente Regierungsjahre wäre Venezuelas extravaganter Präsident Hugo Chávez (47) fast aus seinem Amt vertrieben worden. Nach blutigen Massenprotesten und einer Streitkräfterebellion am 12. April vor dem Regierungspalast des Präsidenten sagten sich viele hochrangige Offiziere von ihrem Oberkommandierenden Chávez los und gaben den Weg zu einem Umsturz frei.

Admiral Héctor Ramirez erklärte das Verhalten von Chavez in einer Fernsehansprache öffentlich für undemokratisch und verlangte vom Volk, ihm die Gefolgschaft zu versagen. Der Heereschef, General Efrain Vasquez Velasco, rief in der Folge seine Kommandeure auf, sich der Rebellion gegen die Regierung anzuschließen. Mit einem "demokratischen Putsch" sollte nicht nur der Präsident, sondern seine gesamte Gefolgschaft entmachtet werden. Und zunächst sah es danach aus, als wäre dies tatsächlich in einem Handstreich geschehen.

Chef der kurze Zeit existierenden Übergangsregierung war der konservative Unternehmer und Präsident des Unternehmerverbandes Fedecamaras, Pedro Carmona Estanga. Alles schien gut vorbereitet: Chávez konnte problemlos ohne einen Schuß festgenommen werden, das Manko des Putsches würde durch kurzfristig anberaumte Neuwahlen korrigiert werden und außenpolitisch schien auch eine wohlwollende Duldung durch die USA zu bestehen.

Begonnen hat alles mit einer Kraftprobe zwischen den venezolanischen Wirtschaftsverbänden und Chávez. Die Gewalt brach am dritten Tag eines Generalstreiks aus, mit dem die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen gegen Chavez' Personalpolitik in der staatlichen Ölindustrie protestieren wollten. Der Schatzmeister des Arbeitgeberverbandes, Gregorio Rojas, sagte, eine Beilegung des Streiks sei nicht mehr möglich, Chávez müsse zurücktreten. Die Opposition sei an die Streitkräfte herangetreten, ihren Einfluß für den Rücktritt des Präsidenten geltend zu machen und eine Übergangsregierung zu etablieren, die Neuwahlen ausrufen solle. 500.000 Menschen jubelten dann am 11. April den Chefs des Gewerkschaftsdachverbandes CTV und der Fedecamaras zu, die zusammen auf einer Kundgebung zum Generalstreik den Rücktritt des Präsidenten forderten. Die Menge zog darauf zum Präsidentenpalast, wo zum Schutz 15 Panzer auffuhren und Polizisten Tränengas einsetzten. Auf Dächern postierte zivile Scharfschützen schossen in die Demonstrantengruppen, so daß mindestens 14 Menschen getötet und 110 verletzt wurden.

Dies brachte das Faß schließlich zum Überlaufen: Heereschef Vasquez bat das venezolanische Volk um Vergebung für die blutigen Ereignisse und sagte sich von Chávez los. "Herr Präsident, ich war loyal bis zum Schluß, aber die heutigen Ereignisse können nicht toleriert werden", erklärte er.

Der Bürgermeister von Caracas, Alfredo Pena erklärte: "Chávez hat sein wahres Gesicht gezeigt. Dieser Diktator-Azubi hat brutal die Unterdrückung einer friedlichen Demonstration befohlen." Trotz seiner Verantwortung an der blutigen Unterdrückung des Massenprotestes konnte Chávez letztlich nicht gestürzt werden. Die Rechnung der Opposition ging nicht auf, weil sie die militante und gut organisierte Anhängerschaft der "Chavistas" nicht im Kalkül hatte. Nach einer "Schrecksekunde" trommelten die "Circulos Bolivarianos" 600.000 Leute zu Pro-Chávez Kundgebungen zusammen und machten die Straßen Caracas unsicher.

Es kam zu weiteren Toten und Verletzten. Die streitbaren Chavez-Anhänger setzen sich vornehmlich aus ehemaligen linken Guerilleros und Kadern der kommunistischen Parteien Venezuelas zusammen und zeichnen sich äußerlich durch das Tragen des roten Baretts der ehemaligen Fallschirmspringereinheit von Chávez aus. Vor Gewaltanwendung schrecken sie nicht zurück. Bei ihren Kundgebungen werden regelmäßig unliebsame Journalisten beschimpft und verprügelt. Auch machen sie nicht vor Plünderungen halt. Allerdings nur bei den zahlreichen Läden von spanischen oder portugiesischen Einwanderern, um nicht in Widerspruch zu ihrem proklamierten "Patriotismus" zu geraten.

Ein Festhalten an dem Sturz von Chávez hätte unweigerlich in einen Bürgerkrieg geführt. Ferner bekamen verschiedene Militärs aufgrund des fehlenden Zuspruchs anderer lateinamerikanischer Staaten weiche Knie und wechselten die Fronten. Desgleichen hatte Chavez seine Regierungszeit dazu genutzt, in führenden Positionen von Staat, Gesellschaft und öffentlichen Medien Exponenten seiner Bewegung einzusetzen, die neben seiner Person, den lateinamerikanischen Revolutions-Guerillero Che-Guevara und den kubanischen Diktator Fidel Castro zu ihren Säulenheiligen erhoben und mit dem Gedankengut der Putschisten nichts anfangen konnten. Die Frontleute des Staatstreiches mußten aufgrund dessen aufgeben und Chávez wieder freilassen. Niemand glaubt jedoch, daß die Sache ausgestanden ist; in der Bevölkerung brodelt es nach wie vor: Unternehmen, katholische Kirche, Gewerkschaften, Intellektuelle und Künstler, sogar die Studentenvertretungen - die sonst gern die Vorreiter sind, bei allem, was nach Revolution riecht - wollen Chávez nicht mehr haben. Sie haben inzwischen jeglichen Respekt vor ihm verloren und sehen in ihm nicht den charismatischen Führer, für den er sich gern ausgibt, sondern einen armen Scharlatan, der stundenlang ohne Punkt und Komma redet, der singt (schlecht!) und jeden beleidigt, der sich ihm nicht unterordnen will. Als erster und einziger Regierungschef schreckte er sogar nicht davor zurück, in einer eigens für ihn geschaffenen Fernsehsendung "Aló Presidente" als Talkshowmaster aufzutreten und parallel dazu die Schließung von fünf privaten Fernsehsendern zu verfügen, die angeblich soziale Unruhen geschürt hätten. Abgesehen von seinen pittoresken Zügen - die ihm den Titel "el loco", der Verrückte, eingebracht haben - hat die venezolanische Presse sowohl ausufernde Korruption bloßgestellt, von der die gesamte Regierung unterwandert ist, als auch die Verbindungen zwischen Chávez' Regime und der kolumbianischen Drogenguerilla.

Diesem deprimierenden folkloristischen Panorama ist die Wirtschaftskrise hinzuzufügen: Unzählige Unternehmen sind in den Bankrott gegangen, mit der Folge eines massiven Exodus von Kapital und Arbeitskräften. Die Einkünfte aus dem zuletzt gestiegenen Erdölexport des viertgrößten Erdöllieferanten der Welt sind von einem Staat zunichte gemacht worden, der von Tag zu Tag mehr ausgibt und sich immer weniger Mühe macht, die obskure Handhabung seiner Gelder zu vertuschen. Eine Besserung ist nicht in Sicht, da Chávez sich mit vermeintlich großzügigen, jedoch volkswirtschaftlich absolut unsinnigen Versprechen verloren gegangene Sympathien zurückkaufen will, wie zuletzt die Ankündigung, alle Gehälter in Zukunft um 25 Prozent zu erhöhen.

Als der Oberst 1999 seinen vorhergegangenen Staatsstreichen zum Trotz (oder eben gerade dank dieser) an die Macht gelangte, standen 80 Prozent der Venezolaner hinter ihm, während ihn die anderen 20 Prozent aus tiefstem Herzen verabscheuten. Vereinfacht gesagt, war dies eine Frage der Klasse. Die niederen sozialen Schichten - und damit die immense Mehrheit - unterstützten Chávez während die Mittel- und Oberschicht ihn ablehnten. Heute sind die Verhältnisse genau umgekehrt: 80 Prozent der Bevölkerung wenden sich gegen den Präsidenten und kaum 20 Prozent befürworten ihn noch, was bedeutet, daß gerade die verarmte Bevölkerung die Seiten gewechselt hat.

Chávez Politikstil erinnert an den des argentinischen Mussolini-Verehrers General Juan Domingo Perón. Sein Ziel ist die Schaffung einer Gesellschaft ohne jedwede demokratischen Institutionen, in der sich der Privatbesitz auf sehr kleine familiäre Einheiten beschränkt. Eine vollkommene wirtschaftliche Gleichschaltung, die von einem militärisch und wirtschaftlich starken Staat kontrolliert wird, gestützt auf die Vereinigung von Führer und Masse.

Zu seinen größten politischen Verbündeten zählten ungeachtet seines nationalistischen Habitus nicht rechte, sondern linke Machthaber, wie Fidel Castro, Saddam Hussein und der chinesische Staatspräsident Jiang Zemin. Seinem Freund Castro gewährt er sogar täglich 53.000 Fässer Erdöl zu Sonderkonditionen, um dessen heruntergewirtschafteten Inselstaat am Leben zu halten.

Chávez' Aufstieg erklärt sich nur durch die Verantwortungslosigkeit der politischen Klasse seines Landes, die verantwortlich für große soziale Unterschiede, den Bildungsnotstand in breiten Bevölkerungskreisen und die aus beiden resultierende Armut ist, in der ansonsten nicht nur durch die Erdölvorkommen reichen Region. Der gescheiterte Putschversuch im Jahre 1992 gegen die korrupte Regierung des sozialdemokratischen Präsidenten Carlos Andres Perez wurde daher von vielen als mutige Heldentat angesehen. Als Chávez das zehnjährige Jubliäum dieses Ereignisses mit viel Pomp und Pathos feiern ließ, änderte sich dies und viele Venezolaner trugen aus Protest und Trauer schwarz.

Chávez setzt daneben auch auf eine künstlich stimulierte Welle nationalistischer Gefühle, in dem er gegenüber dem Nachbarstaat Kolumbien Aversionen schürt und gegen die Nordamerikaner polemisiert, die es angeblich auf ihn und das venezolanische Volk abgesehen hätten. Einige Analysten befürchteten sogar, daß er einen Zwischenfall mit Kolumbien provozieren könnte, um durch die Internationalisierung eines Konfliktes von seiner desaströsen Innenpolitik abzulenken. Es bleibt zu hoffen, daß es ihm nach dem Scheitern seiner Widersacher nicht gelingt, ein Regime wie Gaddhafi in Libyen oder Castro auf Kuba aufzubauen, und die Venezolaner genauso wie die Kubaner endlose Jahre warten müssen bis der große "Lider" von Todes wegen abdankt.


 
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