© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/02 26. April 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Heute Helden, morgen Schurken
Carl Gustaf Ströhm

Wahlen in postkommunistischen Ländern gleichen ei-nem Glücksspiel: nichts läßt sich voraussagen. Da es von der Ex-DDR bis nach Rußland nach Jahrzehnten des Kommunismus keine gewachsenen Sozialstrukturen und keinen wirklichen "Mittelstand" mehr gibt, da die Menschen (aus subjektiv verständlichen Gründen) den raschen Wechsel wollen, ebenso schnell enthusiasmiert wie enttäuscht sind, erweisen sich unter den Politikern die Helden von heute als die Schurken von Morgen.

Der 1993 viel zu früh verstorbene erste nachkommunistische Ministerpräsident Ungarns, József Antall, sagte Anfang der neunziger Jahre: "Ich kenne doch meine Ungarn. Jetzt werfen sie ihren Stimmzettel in den Kasten, dann gehen sie nach Hause und legen sich ins Bett. Und wenn sie dann am anderen Morgen aufwachen, glauben sie, sie seien in Wien."

Nun haben die Ungarn den zweite Wahlgang hinter sich - und es bestätigte sich, was bereits am 7. April deutlich wurde: Viktor Orbán, Chef der Mitte-Rechts-Regierung hat zwar die Wahl gewonnen - seine Partei hat mit 188 von 386 Sitzen eine relative Mehrheit im Parlament. Aber Regierung und Macht gingen verloren, denn den "siegreichen" Sozialisten (sie waren im ersten Wahlgang nur um ein Prozent stärker als Orbáns Fidesz-MDF-Bündnis) kamen die Freien Demokraten zu Hilfe. Diese hatten die Fünf-Prozent-Hürde knapp geschafft - und ihre kleine Fraktion sicherte den Sozialisten eine Mehrheit von zehn Mandaten.

Der siegesgewisse Orbán hat sich auf diese Weise "zu Tode gesiegt", denn im Gegensatz zur sozialistischen MSZP, die ihre linksliberalen Bundesgenossen pflegte, waren ihm alle "rechten" Parteien abhanden gekommen. Die älteste, 1930 gegründete Kleinlandwirte-Partei (FKGP), einst stärkste Kraft Ungarns, war nach innerem Streit "implodiert". Sie erhielten kaum noch ein Stimmprozent. Ebenso ist die rechte MIÉP István Csurkas an der Fünferhürde gescheitert, obwohl man ihr bis zu 15 Prozent prophezeit hatte. Die Ungarn kriegten angesichts unfreundlicher westlicher Reaktionen einen Schreck und wählten lieber "politisch-korrekt". Es besteht kein Zweifel, daß aus dem Ausland starker Druck auf sie ausgeübt wurde: den "Rechtsextremisten" Csurka zu wählen, hätte den EU-Beitritt verzögert und den Zorn Washingtons verursacht.

Böse Zungen behaupten, der erst 38jährige Orbán habe sich deshalb um Macht und Amt gebracht, weil er zu sehr auf den Rat von CDU/CSU gehört hatte, wonach es - ebenso wie in Deutschland rechts von der Union - auch in Ungarn rechts von Fidesz nichts Anständiges mehr geben dürfe. So hat Orbán seine möglichen Koalitionäre verloren, weil er sie nicht pflegte. Seine gemäßigt konservative Partei steht ganz alleine da. Selbst in vier Jahren ist es mehr als fraglich, ob er die absolute Mehrheit schafft. Eine kleine, im Grunde zufällige Marge von zwei oder drei Prozent kostete dem konservativen Ungarn auf lange Zeit die Macht.

Natürlich fehlt es in dieser Lage nicht an scharfen Kritikern, die Orbán seine Todsünden vorhalten. Er habe sich zu wenig um das andere, elend arme Ungarn östlich der Donau gekümmert, wo es große Arbeitslosigkeit und soziale Not gebe. Er sei mit seinem Gefolge sehr junger Leute zu "arrogant" gewesen. Er habe sich zu sehr an die EU anpassen wollen. Sein Nachfolger Péter Medgyessy hat schon verstärkten Widerstand gegen Brüssel angekündigt. Der 59jährige will aber auch konzilianter und versöhnlicher auftreten. Ob er jene Probleme lösen kann, die Orbán nicht schaffte, ist eine andere Frage. Ungarn könnte labilen inneren Zuständen entgegengehen.


 
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