© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/02 26. April 2002

 
Eindringlicher als Worte
Ein opulenter Bildband zeigt Ernst Jünger während seiner fünf Jahrzehnte in Oberschwaben
Tobias Wimbauer

Ernst Jüngers Karriere als Autor war eng mit dem Verlagshaus E. S. Mittler & Sohn verknüpft. Dort erschienen 1922 die zuvor im Selbstverlag gedruckten Kriegsaufzeichnungen "In Stahlgewittern" und weitere Bücher Jüngers, bis sich 1942, wiederum mit Kriegstagebüchern, der Kreis schloß: "Gärten und Straßen", in denen die Erwähnung des 73. Psalmes als Affront gegen die Machthaber aufgefaßt wurde.

In Jüngers erstem Hausverlag erschien nun ein opulent gestalteter Bildband: "Ernst Jünger. Die Jahrzehnte in Oberschwaben". Herausgegeben ist diese "Dokumentation in Bildern" (so der Untertitel) von der schwäbischen Kulturjournalistin Gisela Linder, den Jünger-Lesern bekannt unter anderem durch ihr Buch "Ernst Jünger. Über Kunst und Künstler" (1990).

Dem aufwendigen Duplex-Druckverfahren ist es zu verdanken, daß die Photos in exzellenter Qualität wiedergegeben sind. Der Band vereint 144 überwiegend unveröffentlichte Photos namhafter Photographen wie Stefan Moses, Paul Swiridoff oder Herlinde Koelbl. Den Abbildungen beigegeben sind Zitate aus den Werken Jüngers, Auszüge aus Ansprachen und den Tagebüchern. Sie verstärken den Eindruck der Bilder, und mitunter ergeben sich unerwartete Korrespondenzen; etwa bei einem von Stefan Moses arrangierten Selbstportrait Jüngers vor dem Spiegel, mittels Selbstauslöser aufgenommen, zu welchem Jüngers Gedanke abgedruckt ist: "Es gibt eine Scheu, in den Spiegel zu blicken, eine Scheu auch vor dem eigenen Lichtbild und der eigenen Stimme im Radio. Ähnlich ist es mit der Kritik als Spiegel, der uns vorgehalten wird."

Überraschende Konstellationen geben dem Band einen zusätzlichen Reiz: Ernst Jünger im Gespräch mit Eugène Ionesco, mit Friedrich Dürrenmatt und Golo Mann, oder mit Loriot bei einer Sitzung des Bayerischen Maximiliansordens in der Münchner Residenz.

Die warme Herzlichkeit, die viele der Bilder ausstrahlen, beispielsweise die vertraute Begrüßung mit dem langjährigen Freund und LSD-Erfinder Albert Hofmann, konterkariert das weitverbreitete Bild Jüngers als Mensch und Autor von eisiger Kälte und elitärer Distanz. "Bilder sind eindringlicher als Worte; sie brauchen nicht übersetzt zu werden und wirken unmittelbar", schrieb Jünger einmal.

Jüngers Verhältnis zur Photographie war zwiespältig. In den zwanziger und dreißiger Jahren war ihm das Lichtbild als Waffe des "Arbeiters" propagandistisches Mittel, die von ihm in dieser Zeit herausgegebenen Bildbände veranschaulichen dies. Seine Theorie der Photographie als "revolutionäre Tatsache" entwickelte Jünger in seinem Essay "Über den Schmerz" (1934). In den Alterstagebüchern "Siebzig verweht" kommentiert Jünger zustimmend den Ausspruch seiner zweiten Frau Liselotte, "Die Photographen sind Menschen, die sich selbst die Gegenwart und anderen die Zukunft stehlen": "- richtig, da auch das Betrachten von Lichtbildern zum Nivellement gehört." Das war freilich auf die touristische Unart bezogen, die aufgesuchten Landschaften beinah ausschließlich durch den Sucher des Photoapparates zu sehen (Jünger: "Endlich Einfahrt; das Klicken und Surren der Kameras beginnt."). Gleichwohl war Jünger sich seiner Photogenität bewußt, was zuweilen gut zu spüren ist. Der Stoßseufzer von Papst Johannes XXIII.: "Mein Gott ... warum hast Du mich nicht etwas photogen gemacht" wäre ihm nicht in den Sinn gekommen.

Ernst Jünger hat sich in Oberschwaben heimisch gefühlt: "Das Dorf hat mir sogleich gefallen. Seine Lage inmitten der weit gebreiteten, fruchtbaren Felder, Obstgärten und Wiesen, die Freundlichkeit der Bewohner, die damals sämtlich noch Bauern waren, behagte mir sehr. Seitdem sah ich manches sich verändern, doch Wilflingen ist dabei immer schöner geworden."

Sein damaliger Sekretär Armin Mohler schrieb in einem Brief an Erich Kästner über den Umzug Jüngers nach Wilflingen, daß er unter einem guten Omen stand: "Über der Landschaft stand der schönste und vollkommenste Regenbogen, den ich je sah".

Ein Blick in die umfangreiche Danksagung läßt erahnen, daß bei der Bildersuche ein großer Aufwand betrieben wurde. Bei der Buchvorstellung im Kloster Heiligkreuztal (JF 16/02) berichtete der Verlagsleiter, Thomas Bantle, von der Durchsicht abertausender Photographien, bei Privatleuten und im Nachlaß Jüngers im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Die Mühe hat sich gelohnt. "Die Jahrzehnte in Oberschwaben" sind eine Augenweide, an der nicht nur der Kreis der Jünger-Freunde seine Freude haben wird.

Über einen anderen, ihm gewidmeten Photoband bemerkte Jünger: "Ich merke beim Verschenken des Buches, daß es ein besonderes Vergnügen bereitet. Bilderbücher sind gern gesehen, das entspringt einem kindlichen Zug."

 

"Man darf überhaupt vom Lichtbild nicht mehr erwarten, als es zu geben vermag. Ein feiner Ab- druck des äußeren Geschehens, gleicht es den Abdrücken, die uns das Dasein seltsamer Tiere im Gestein hinterlassen hat. Wohl bieten diese den Stoff der Anschauung dar - wie aber das Leben des großen Tieres in seinen geheimnisvollen Bewegungen sich abspielte: dies zu ahnen, dazu ist Phantasie erforderlich. Hinter den Abbildern einer versunkenen Welt, hinter den Ruinen den Atem großer Taten und Leiden zu spüren, das ist die Aufgabe, die wie jedes Dokument, so auch das Lichtbild aus den Zonen vergangener Kämpfe dem aufmerksamen Betrachter stellt." Ernst Jünger, Krieg und Lichtbild (1930)

 

Gisela Linder (Hg.): Ernst Jünger. Die Jahrzehnte in Oberschwaben. Eine Dokumentation in Bildern. Mit einem Geleitwort von Peter Tamm. E.S. Mittler & Sohn, Hamburg 2002, 213 Seiten, 144 s/w-Fotos, 68 Euro

 

Fototexte:

Ernst Jünger Ritter des Pour le mérite

Ernst Jünger mit seiner jahrelangen Haushaltshilfe Monika Miller am 25. März 1994 in Biberach

Ernst Jünger begrüßt Albert Hofmann (r.), den Schweizer Chemiker und LSD-Entdecker

Im Wilflinger Garten am 26. Juli 1963

Im Garten seines Verlegers Michael Klett am 2. April 1990; im Hintergrund Jüngers Neffe Gert Deventer

Ernst Jünger, Botschafter Wolfram Dufner, Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt und der Historiker Golo Mann (v.l.n.r.) am 7. Juni 1990 in Bern

Opernsänger Hermann Prey, Vicco von Bülow (Loriot) und Ernst Jünger am 9. Dezember 1994 beim Treffen der Träger des Maximiliansordens in München

Ernst Jünger in seinem Arbeitszimmer in Wilflingen, 1995: "Die Einsamkeit zählt nicht zu den Leiden des Autors, sondern zu seinem Kapital"


 
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