© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
"Könnte es auch hier passieren?"
England: Die Medien basteln nach dem Le Pen-Erfolg am Gespenst des Faschismus / Kommunalwahl als Stimmungsbarometer
Catherine Owerman

Der Erfolg der französischen Rechten bei der Präsidentschaftswahl hat auch jenseits des Ärmelkanals ein gewaltiges Echo hervorgerufen. Wie beim Regierungseintritt von Jörg Haiders FPÖ vor zwei Jahren in Österreich erwecken britische Massenblätter den Eindruck, es klopfe nun der "Faschismus" an die Tür. Als "antifaschistischen Karneval" bezeichnete das der Wiener Philosoph Rudolf Burger sarkastisch. Diesmal spielt also Jean-Marie Le Pen den Faschingsprinzen, dessen politisches wie privates Leben breit kommentiert wird.

Angesichts des "Dramas von Jean-Marie Le Pens Erfolg" fragt sich der linke Guardian: "Könnte es auch hier passieren?" Es sei schon möglich, aber es sei nicht sehr wahrscheinlich, so das Blatt. Tony Blair habe aber eine gute Bilanz bei der "Förderung liberaler, multikultureller Werte" vorzuweisen. So müßten alle 43.000 Behörden einen "Rassengleichheitsplan" umsetzen. Gleichzeitig habe die britische Regierung nicht zugelassen, daß "die extreme Rechte sich die Themen Verbrechen und Einwanderung unter den Nagel reißt", so der Guardian.

Alle britischen Zeitungen brachten mindestens ein halbes Dutzend Titelgeschichten zum Überraschungssieg des Front National. Zusätzlich widmeten selbst seriöse Zeitungen dem Buhmann aus dem Nachbarland reich bebilderte Sonderseiten: "Dienerinnen helfen Macho Le Pen, weiblichen Wählern den Hof zu machen", so eine Überschrift der Londoner Times. Le Pens Heldin sei die "anti-englische" Jeanne d'Arc, wußte das Blatt zu berichten. An anderer Stelle bezeichnet die Times den Zweitplazierten einer demokratischen Wahl als "hijacker", also Räuber oder Entführer.

Der konservative Daily Telegraph erklärt den französischen Wählerwillen zu einem "Witz". "Nur wenige lachen noch über einen Wahlwitz, der zu weit ging", schreibt die Zeitung. Es sei bei den Franzosen üblich, im ersten Wahlgang einem beliebigen Kandidaten die Stimme zu geben. Den Bewohner eines Marseiller Vororts zitiert der Daily Telegraph mit den Worten: "Ich höre, die Engländer, sie sind geschockt, was geschehen ist. Sie wären es nicht, wenn sie hier leben müßten." Die Auswahl zwischen Jacques Chirac und Le Pen, einem "Gauner" und einem "Faschisten", fiele ihm jetzt nicht ganz leicht.

Auch in der innenpolitischen Debatte wird das Le Pen-Schreckgespenst eifrig bemüht. Abgeordnete vom linken Flügel der regierenden Labourpartei warfen Innenminister David Blunkett vor, seine harte Linie gegen Asylanten stärke Extremisten. Vor einer Anhörung zum neuen Gesetz über Staatsbürgerschaft, Einwanderung und Asyl empörten sich farbige Politiker über die "gefährliche Rhetorik" des 54jährigen Labour-Politikers. Der hatte in einem BBC-Interview gewarnt, eine mangelnde Steuerung der Asylantenströme könnte Schulen in städtischen Problembezirken "überschwemmen". Seine Formulierung erinnert an Margaret Thatcher, die als Oppositionsführerin 1978 Verständnis für Besorgnisse äußerte, die Briten würden "überschwemmt von Leuten anderer Kulturen".

Die Pläne des Innenministeriums umfassen verpflichtenden Sprachunterricht für Einwanderer, einen Eid vor einer Einbürgerung sowie die Unterbringung eines Teils der jährlich etwa 80.000 Asylanten in Auffanglagern. Diese Maßnahmen, beklagte Diane Abbott von der Asylkommission, entsprächen "einer rechtsgerichteten Auffassung, wonach Asylbewerber eine schreckliche Bedrohung sind". So würde, "wie die französische Erfahrung zeigt, Faschisten in die Hände gespielt".

Die so oft beschworenen "Faschisten" muß man auf der Insel jedoch mit der Lupe suchen: Es handelt sich um die British National Party (BNP) mit nur wenigen hundert Mitgliedern, die jedoch zuletzt an einigen Brennpunkten der Rassenkonflikte wie Oldham oder Burnley zweistellige Ergebnisse erzielte. Das linke Boulevardblatt Daily Mirror wartete daher jüngst mit einer "Enthüllungsgeschichte" auf. Zwei Monate habe ihr Reporter die BNP "infiltriert". Sein "schockierender Bericht" über die "Bande von Rüpeln, Kriminellen und Außenseitern" erzählt von verregneten Wanderausflügen, einem Grillabend mit Parteichef Nick Griffin und vom Londoner Flohmarkt Portobello Road, wo man "deutsche Bücher in Frakturschrift" durchgeblättert habe.

Bei den englischen Gemeinderatswahlen am 2. Mai sind 5.878 Mandate zu vergeben. Die BNP hat lediglich 68 Kandidaten aufstellen können. Obwohl sie also selbst bei einer 100prozentigen Erfolgsquote nur knapp ein Prozent der Sitze belegen könnte, sehen einige linke Medien die Demokratie in Gefahr. Bürgerliche Kommentatoren blieben eher gelassen: Nicht die Machtübernahme der BNP, sondern Einbußen für Labour stünden bevor, schrieb die Times. Deshalb bemühe die Partei von Tony Blair jetzt auch so abstruse Argumente, um müde und enttäuschte Wähler an die Urnen zu locken.


 
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