© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
Angriff auf das Naturkapital abwehren
Landschaftsplanung: Eine Fachtagung in Potsdam diskutierte die Notwendigkeit der "nachhaltigen Raumentwicklung"
Adrian Gerloff

Nachhaltigkeit ist eine Kombination aus Langfristsicht und Abwägung. So lautete der Grundtenor der Wissenschaftlichen Plenarsitzung der Akademie für Raumforschung und Landesplanung Hannover (ARL), die letzte Woche in Potsdam stattfand. Experten aus dem gesamten Bundesgebiet diskutierten unter dem Motto "Nachhaltige Raumentwicklung - mehr als eine Worthülse?" über die Notwendigkeit der Raumplanung für Umwelt und Landschaft.

Die "Nachhaltigkeit" von Entscheidungen dient langfristig der Umwelt und der Ökonomie, doch meist wird immer noch zugunsten kurzfristiger wirtschaftlicher Erfolge entschieden. Notwendig sei aber die Kombination und gleichzeitige Berücksichtigung der drei Säulen ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. Dabei sollte im reichen Deutschland der Umweltbereich einen - aber nur leichten - Vorrang haben. Der ökologische Sektor sei zu bevorteilen, weil die ökonomischen und sozialen Standards hier weitestgehend erfüllt sind. In den letzten Jahrzehnten wurden aber auch die Schadstoffemissionen durch den Einsatz modernster Technik drastisch gesenkt. Jeder weitere Versuch, den Ausstoß von Schadstoffen auf null zu reduzieren, sei zum einen technisch noch nicht möglich oder mit einem nicht akzeptablen Kostenaufwand verbunden. Das Geld könnte anderenorts sinnvoller eingesetzt werden

Ein nicht unerheblicher Zielkonflikt sei zwischen Ballungsgebieten und ländlich strukturschwachen Regionen zu erkennen. Moderne Ballungsräume (etwa der Großraum München) als Innovationszentren sind Garant für das Wachstum in Industrieländern und gelten als Wohlstandsfaktor. Die regionale Ausgleichspolitik bleibe jedoch weiterhin Hauptaufgabe der Raumplanung.

Was dies konkret für die Städte und Gemeinden bedeuten kann, verdeutlichte Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck in seiner Begrüßungsrede. Die industriellen und militärischen Altlasten in der brandenburgischen Landeshauptstadt (und nicht nur hier) sollen wieder genutzt werden. Dies verhindere die Abwanderung der Menschen in die Nachbargemeinden und biete somit die Möglichkeit, die Innenstädte wieder zu beleben. Doch hierbei wirken sich die hohen Bodenpreise als besonders nachteilig aus, so der SPD-Politiker. Die steigenden Immobilienpreise seit Anfang der neunziger Jahre fördern aber die Abwanderung der Investoren in das Umland. Der Wegzug der Menschen aus der Stadt bedingt aber einen erhöhten Flächenverbrauch im bislang unbebauten Umland und eine durch den erhöhten Verkehr gesteigerte Schadtstoffbelastung. Außerdem bedeutet jeder Ortswechsel eines Stadtbewohners finanziellen Verlust für die Stadt.

Hieraus ergäben sich neue Anforderungen an die Stadtplanung. "Ist es nicht an der Zeit", fragte Platzek, "alle Akteure in den Prozeß der Zielabwägung miteinzubeziehen?" Bei der Gestaltung Potsdamer Schulhöfe durch Kinder und Eltern wurde die Möglichkeit der Selbstgestaltung bereits gern angenommen. "Warum sollen flexible Öffnungszeiten in den Innenstadtbereichen das Kundeninteresse nicht wieder in die Stadtkerne verlagern können?" Der Vollzug einer nachhaltigen Entwicklung ist dabei unbedingt als Dialog und Kooperation in der Mischung administrativer und bürgerbeteiligender Organe zu sehen.

Die Notwendigkeit der nachhaltigen Entwicklung als unmittelbare Voraussetzung für die Sicherung des Friedens erläuterte als Gastredner Klaus Töpfer in seiner Funktion als Direktor der United Nations Environmental Programme (UNEP) mit dem Sitz Nairobi. Der CDU-Politiker und ehemalige Bundesumweltminister erklärte nachhaltiges Wirtschaften und Konsumieren als überlebensnotwendig. Wer das Naturkapital angreift, so Töpfer, setzt zukünftige Entwicklung und Stabilität aufs Spiel. Die Entwicklung muß dabei von den sogenannten entwickelten Ländern ausgehen. Anreize zur Entwicklung umweltverträglicher Technologien und zur Veränderung des Konsumverhaltens bestehen in der Integration der bisher auf die Umwelt abgewälzten Kosten. Nur so werden die wirklichen Kosten preis- und auch marktrelevant.

Auf weltweiter Ebene habe dies zweifache Wirkung: Einerseits werden den Entwicklungsländern bessere Chancen gegeben, wirtschaftliche Entwicklung im Einklang mit der Leistungsfähigkeit des Umweltkapitals zu erreichen. Andererseits wird es möglich, sie schrittweise von den Umweltkosten zu befreien, die bisher ihre Entwicklung wesentlich erschwerten. Beispiele dafür sind Klimaveränderung, Schadstoffeinleitungen und die weitere Verminderung der Artenvielfalt.

Letzteres betreffend unterstützen die Deutschen die Erhaltung der Elefanten in Afrika mit enormen Zuwendungen. Im Gegenzug vernichten wir, meinte Töpfer, mit der Zuschüttung des Naturschutzgebietes "Mühlenberger Loch" in Hamburgs Elbmündung zu Gunsten der Airbusproduktion einen wichtigen Rückzugsbereich für Tiere und Pflanzen und vermindern Artenvielfalt. Nach dem Motto: Naturschutz ja, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür und nur in Regionen, welche als ökonomisch "wertlos" gelten, so der UNEP-Chef.


 
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