© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
Die Schule des Lebens
Justiz und Strafvollzug: In deutschen Gefängnissen sitzen immer mehr politische Meinungskriminelle
Andreas Wild

Einem besorgten Spiegel-Bericht ist zu entnehmen, daß in den Gefängnissen der BRD "Rechtsradikale dominieren". Gemeint ist, daß dort Häftlinge, die wegen Meinungsdelikten bzw. "Symbolkriminalität" verurteilt wurden, vom Wachpersonal nicht als Gefangene zweiter Klasse behandelt werden, daß sie mitunter sogar "Vertrauensposten" erhalten und bei der Anstaltsleitung einen Stein im Brett haben. Das, so legt der Spiegel nahe, sollte sich schleunigst ändern.

Was will man ändern? Als anzustrebendes Vorbild steht offenbar das Gulag- und Stasi-Regime aus der Kommunistenzeit vor Augen, wo die "Politischen" auf Anweisung von oben systematisch zurückgestuft und mit negativem Sonderstatus belegt wurden. "Politische" trugen rote Streifen, "gewöhnliche Kriminelle" grüne Streifen. Nur Grüngestreifte durften Kalfaktoren, Sanitäter oder Küchen- bzw. Kleiderbullen werden. Die "Kriminellen" herrschten über die "Politischen", schikanierten sie zusätzlich, stigmatisierten sie und machten ihnen die Haft im Einverständnis mit den Behörden bewußt zur Hölle.

Freilich ging das Kalkül nicht immer auf. Es kam sporadisch zu Solidarisierungen der "Kriminellen" mit den "Politischen", Grün und Rot vermischten sich, und als die eigentlich kriminelle Kraft stand am Ende die Anstaltsleitung da, deren Regime des "Teile und herrsche!" von den Insassen einfach ignoriert oder lächerlich gemacht wurde.

Parallelen zur Gegenwart sind nicht unwahrscheinlich. Je mehr sich die Gefängnisse mit Meinungs- und Symbolkriminellen füllen, um so deutlicher wird denen die "Dominanz" im Meinungsklima der Anstalten zufallen. Das Gefängnis wird zur Schule des Lebens, und der Ethikunterricht draußen dürfte dieser Schule nicht immer gewachsen sein.


 
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