© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
Rückzug ins Private
"Heimschulen": In Deutschland nimmt der Unterricht in der Familie zu
Michael Talhammer

Seit der Veröffentlichung der von der "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" (OECD) entwickelten Studie "Programme for international Student Assessment" (Pisa) überschlagen sich die Fachleute mit Vorschlägen zur Reform des deutschen Bildungswesens. Die abgehalfterten Sozialromantiker aus der Ära des "sozialen Fortschritts" der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts greifen nochmal tief in ihre Trickkiste: sie beschwören ein "gerechtes" Schulsystem, das alle Heranwachsenden durch die Düsen einer egalistischen Bildunsgmaschine pressen will. Ihre Kollegen aus der Fraktion der totalen Verwertbarkeit des "Humankapitals" hingegen wollen eine Schulbildung, die in kurzer Zeit die Praktiker des entfesselten Marktes heranzüchtet: anpassungsfähig, leistungsbereit, wachstumsorientiert.

Nicht erst seit Pisa überlegen sich immer mehr Eltern, ob sie noch verantworten können, daß ihre Sprößlinge in Erziehunsganstalten gehen, wo sie zwar den tadellosen Umgang mit Verhütungsmitteln erlernen, aber den Sinn einfacher Sätze nicht mehr begreifen. Wer zudem von einer Schule auch eine Charakterbildung erwartet, ist auch mit den zahlreichen Privatschulen schlecht beraten. Gerade das wird aber zusehends wieder erwartet: Laut einer Allensbach-Umfrage ist die Mehrheit der Eltern wieder für "Sekundärtugenden" wie Höflichkeit, Pünktlichkeit und Ordnung. In der Tabelle der Erziehungsziele liegen "Höflichkeit und gutes Benehmen" mit 88 Prozent an der Spitze.

Den Ausweg aus der universalen Bildungsmisere sehen immer mehr Eltern in einem Konzept, das in den USA als "Homeschooling" bekannt und vor allem in christlichen Kreisen weit verbreitet ist.In Deutschland kennt man diese Methode eher als "Hausunterricht", bzw. "Heimschule" und das ist im Prinzip nichts Neues: schon in der Weimarer Zeit gab es Hausunterricht; er wurde erst 1938 verboten. Heute unterrichten rund 200 Familien ihre Kinder zu Hause; in den USA sind es zwei Millionen Kinder, die so den Mühlen der staatlichen Kulturrevolution entzogen werden.

In der familiären Atmosphäre wird Lernen erst richtig gelernt. "Das jetzige Bildungsideal fördert viel zu wenig das selbständige Lernen und Arbeiten sowie die Bereitschaft, Verantwortung für die eigene Bildung zu übernehmen", sagt Michael Vennemann, Leiter der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU). Er hält den Ausbau von Unterricht für Kinder und Jugendliche per Fernunterricht für sinnvoll.

"Heimschule" betreiben Familien, die ihre Kinder auf eigene Kosten zu Hause, im Wohnzimmer, in der Küche oder im privaten Büro unterrichten. Manche haben ein eigens dafür hergerichtetes "Schulzimmer" oder eine "Schulecke". "Lehrer" sind Mütter oder Väter, Freunde, Bekannte und auch ausgebildete Lehrer, die regelmäßig Blockunterricht erteilen. In der Regel orientiert sich der Unterricht an den Rahmenrichtlinien, Lehrplänen, Stundentafeln und Prüfungsanforderungen öffentlicher Schulen. Ansonsten verläuft der Hausunterricht wie an einer normalen Schule. Bei christlichen Familien beginnt der Unterricht mit einem Lied, Schriftlesung und Gebet.

Die Unterrichtung findet zu regelmäßigen Zeiten, gewöhnlich vormittags statt. Bei dem intensiven Lehren nur weniger Kinder sind Unterrichtsstunden von einer halben Stunde oft völlig ausreichend. Die Kinder sollten zudem ordentlich gekleidet sein; so, als ob sie einen Schulweg vor sich hätten. Betreuung finden Heimschulfamilien bei der 1980 von Helmut Stücher gegründeten Philadelphia-Schule in Siegen, in der sich die meisten Heimschulen, etwa 100 Familien, zusammengefunden und organisiert haben. Sie stellt Lehrbücher, Unterrichtsmaterialien und fachlich kompetente Lehrer zur Verfügung. Schulabschlüsse können die Kinder durch externe Prüfungen erwerben.

Die rechtliche Situation stellt sich nicht ganz einfach dar: Hausunterricht ist in fast allen EU-Staaten erlaubt, denn alle diese Länder haben zwar eine "Bildungspflicht", jedoch keinen "Schulzwang", wie dies in Deutschland der Fall ist. In einigen Bundesländern sind die Schulämter trotzdem tolerant und dulden den Hausunterricht, in anderen Bundesländern versuchen die Behörden zum Teil durch Bußgelder die Eltern unter Druck zu setzen. In den meisten Fällen wurden die Verfahren eingestellt. Im Schulgesetz vieler Bundesländer besteht die Möglichkeit, auf Antrag von der Pflicht, die öffentliche Schule zu besuchen, befreit zu werden. Vorausgesetzt, es wird nachweislich für hinreichenden Unterricht in der Familie gesorgt. Statistiken und Erfahrungen belegen, daß die Heimschüler überdurchschnittlich gebildet sind.

Erziehung und Bildung / Weitere Informationen: Sachbücher und Internetseiten

Gerster, Petra, Christian Nürnberger: "Der Erziehunsgnotstand. Wie wir die Zukunft unserer Kinder retten", Rowohlt Verlag, 283 Seiten, 19,90 Euro.

Goeudevert, Daniel: "Der Horizont hat Flügel - Die Zukunft der Bildung", Econ Verlag, 238 Seiten, 21 Euro.

Klemm, Ulrich: "Lernen ohne Schule", AG. Sozial Politische Arbeitsweise (Hrsg.), 84 Seiten, 7,50 Euro.

Struck, Peter: "Wie schütze ich mein Kind vor Gewalt in der Schule?", Eichborn Verlag, 156 Seiten, 13,90 Euro.

Pousset, Raimund: "Schafft die Schulpflicht ab!", Eichborn Verlag, 176 Seiten, 15,90 Euro.

www.hausunterricht.de , www.schuzh.de , www.bildungzuhause.ch  , www.education-freedom.org , www.home-school.com , www.teachinghome.comwww.schooloftomorrow.com , www.homeschoollearning.com 


 
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