© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/02 03. Mai 2002

 
Neue Technologien: Krebsforschung
Warum nicht ich? Warum gerade ich?
Angelika Willig

Die Hoffnung, daß der Krebs eines Tages mit einem "neuen Penicillin" schlagartig zu besiegen sei, wird allmählich aufgegeben. Obwohl seit Jahrzehnten riesige Summen in die Krebsforschung fließen, sind die Erfolge eher schleichend. Jede Epoche hat ihre eigenen Anforderungen. Der Krebs ist das Problem, was wir zu lösen haben, und das unsere höchsten Leistungen fordert. Ohne die neuesten Erkenntnisse der Genforschung ist hier nichts zu begreifen. Dennoch ist Krebs keine reine Erbkrankheit. Er entzieht sich dem "ideologischen" Gegensatz von angeboren oder erworben, wie wahrscheinlich die meisten Lebenserscheinungen, die der Mensch bisher nicht versteht, keine Eindeutigkeit haben. Das Problem zwingt zum Umdenken und Entwickeln neuer Strukturmodelle. Das kostet Kraft und Zeit.

Vor allem muß man sich von der Vorstellung verabschieden, daß gesundes Gewebe hundertprozentig gesund ist. In jedem Zellkern kommen ständig Veränderungen an den Chromosomenfäden vor, Bausteinverschiebungen an der DNA, die sich bei der Teilung der Zelle zwangsläufig verdoppeln. Bevor es jedoch so weit kommen kann, registriert die Zelle den "Unfall" und schreitet selbständig zur biochemischen Reparatur. Die Anweisungen dafür erhält sie von dem gefährdeten Genom selbst. Ist der Degenerationsprozeß aber weit fortgeschritten, so springt das Notprogramm an, und die Zelle zerstört sich selbst. Ganz ähnlich arbeitet übrigens die grausame Chemotherapie. Sind jedoch die genetischen Informationen, die diese Selbsthilfe kodieren, unlesbar geworden, dann teilen sich die kranken Zellen ungehindert weiter, bis ein sichtbares Geschwür entsteht, und bis schließlich der ganze Körper nur noch im Dienst des Tyrannen steht.

Nicht nur im Alter, sondern schon in der Blüte der Jahre kämpft der Organismus dauernd gegen seine Vernichtung an. Drinnen tobt ein "Kampf ums Dasein", ohne daß wir es auch nur bemerken. Die Rose, poetisch gesprochen, ist an der Wurzel schon vom Wurm benagt. Doch wieso bleibt der Wurm bei manchen so schnell Sieger? Die Vermutung, daß Reparatur-Gene von Anfang an nicht funktionieren, scheidet aus, weil sonst die Träger nicht lange Zeit gesund sein könnten. Es muß sich im Laufe des Lebens im Zell-Abwehr-System etwas verändern. Die Frage ist, woher die Veränderung kommt. "Ich denke, daß diese Defekte individuell erworben sind und sich über mehrere Jahre anhäufen", erklärt Craig Allred vom Baylor College of Medicine in Texas, wo derzeit über die Genetik des Mammakarzinoms geforscht wird. Es kann eine angeborene Schwäche auf diesem Gebiet geben, darauf deuten die gehäuften Krebsfälle in manchen Familien. Doch gleichzeitig bleiben ökologische Einflüsse wie Rauchen oder falsche Ernährung und psychische Belastungen bei der Krebsentstehung diskutabel. Wir wissen nun mehr - doch den Kranken nutzt es noch wenig.


 
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