© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002

 
Steht die Japan AG wirklich vor dem Konkurs?
Japan: Der als Medienliebling gestartete Premier Koizumi ist nur im Ausland erfolgreich / Banken- und Wirtschaftskrise mit 3,5 Millionen Arbeitslosen
Albrecht Rothacher

Seit letztem Jahr ist Junichiro Koizumi Ministerpräsident. Beim Amtsantritt wie ein Popstar gefeiert, ist sein medialer Glanz mittlerweile erloschen. Die ersten Nachwahlen gingen jüngst verloren. Japans Jahrzehnt der Wirtschaftsstagnation hält an, die Bankenkrise wird weiter verschleppt, die Arbeitslosenquote steigt weiter. Teilt Koizumi bald das Schicksal seiner glücklosen Vorgänger, die sich kaum länger als ein Jahr im Amt halten konnten?

Dabei ist der nationalbewußte Premier international erfolgreich und bereist einmal mehr das wirtschaftlich und kulturell nach Japan orientierte Südostasien, auch um gegen den steigenden Einfluß Pekings dort Flagge zu zeigen. Letzte Woche war er in Australien, wo er sich mit Premier John Howard auf Verhandlungen über ein bilaterales Freihandelsabkommen verständigt hat. Paul Wolfowitz, US-Vizeverteidigungsminister, schätzt Japan öffentlich als Gegengewicht zur wachsenden Macht Chinas in Fernost. Der US-Anti-Terrorkampagne leistet Japan diskrete Unterstützung durch Transportflugzeuge und Tankschiffe im Indischen Ozean, ohne sich jedoch, wie die europäischen Verbündeten in Afghanistan, ohne Not allzu weit aus dem Fenster zu lehnen.

Als japanischer Patriot besuchte Koizumi jüngst wieder den Yasukuni-Schrein im Herzen Tokyos, wo nach der Lehre des Staatsshinto die Seelen aller 2,5 Millionen für das Kaiserreich seit 1870 gefallenen Soldaten ruhen. Ihre Zahl schließt die in sibirischer Kriegsgefangenschaft umgekommenen ebenso ein wie die Opfer der alliierten Siegerjustiz nach 1945. Der Premier betete dort fünf Minuten lang, stiftete umgerechnet 300 Euro für einen Kranz und trug sich ins Gästebuch ein. Der Yasukuni-Besuch sollte nach offizieller Lesart auch den nationalen Konsens für Koizumis Reformwerk stärken. Nach Ansicht journalistischer Beobachter sollte es auch die Unterstützung der einflußreichen Veteranenverbände und des rechten Parteiflügels der regierenden Liberaldemokraten (LDP) bei den anstehenden Nachwahlen sichern.

Koizumis Geste löste sofort den Protest der chinesischen Kommunisten und der südkoreanischen Regierung aus. Zeitgleich bekundeten beide die Beleidigung ihrer Nationalgefühle durch die Verneigung vor den hingerichteten Kriegsverbrechern. Wie jedes Jahr wurden die japanischen Botschafter einbestellt, Japans Verteidigungsminister von Peking ausgeladen und nach Landesart gewalttätige Demonstrationen in Seoul veranstaltet, wo übrigens am 31. Mai die gemeinsame Fußball-WM beginnen soll. Nur Taiwan hielt sich zurück. Die einstige Musterkolonie hat die japanische Herrschaft allerdings in besserer Erinnerung als die stark unterdrückten Koreaner und Festlandschinesen.

Bewies Koizumi im Ausland Rückgrat, so agiert er im Inland zunehmend glücklos. Im Januar mußte er die populäre Außenministerin Makiko Tanaka, die Tochter des einst über den Lookheed-Skandal gestolperten Baulöwen und Premiers Kakuei Tanaka, entlassen, die sich mit den mächtigen Beamten ihres korrupten Ministeriums heillos zerstritten hatte. Später strauchelte sein enger Verbündeter Koichi Kato über einen der allgegenwärtigen Parteispendenskandale. Ihm folgte der Rußland- und Afrika-Lobbyist der Partei, Tsuneo Suzuki, der als heimlicher Herrscher im Außenamt galt und Entwicklungshilfegelder veruntreut hatte. Prompt gingen im April alle wichtigen Nachwahlen für die LDP verloren: der Bürgermeisterposten in der Hafenmetropole Yokohama ebenso wie der Gouverneurssitz in der ländlichen Präfektur Tokushima und ein Abgeordnetenmandat im entlegenen Niigata, den Stammlanden des Tanaka-Klans.

Koizumi war im April 2001 nach dem Rücktritt seines schwachen Vorgängers Yoshiro Mori mit seiner fotogenen Haartracht, seinen unkonventionellen Auftritten und seiner direkten Sprache im modegeneigten Japan wie ein Filmstar mit 80prozentiger Zustimmung gefeiert worden. Haushoch gewann seine LDP die Oberhauswahlen vom Juli 2001. Vollmundigen Reformversprechen folgten jedoch keine Taten. Seine Popularität, die den Widerstand der Ministerialbürokraten und LDP-Oligarchen (die von öffentlichen Bauaufträgen, Lizenzen, Monopolen und Subventionen profitieren) vorübergehend lähmte, verpuffte ungenutzt. Zwei Drittel der Japaner glauben nicht mehr an die Erfüllung von Koizumis versprochenen Strukturreformen, wie sie das benachbarte Südkorea, auf das man sonst gerne herabsieht, nach der Finanzkrise von 1997/98 durchgeführt hatte. Seoul ließ die Hälfte seiner überschuldeten Großkonzerne ("chaebol"), darunter auch Daewoo, in den Konkurs gehen, modernisierte seinen Bankensektor mit 100.000 Entlassungen und der Bereinigung aller Altschulden und ließ die früher verhaßten Auslandsinvestitionen in fast allen Wirtschaftszweigen zu. Seither flossen umgerechnet über 50 Milliarden Euro an Auslandskapital ins Land. Die Wirtschaft floriert, die Krise ist passe.

In Japan dagegen passiert gar nichts. Mit Preis- und Gehaltskürzungen versuchen die Firmen auf dem Markt zu bleiben. In Erwartung noch niedrigerer Preise bricht in der Deflation (2001/02: - 1,4 Prozent) die Nachfrage weg. In zehn Konjunkturprogrammen hatte die Regierung bis 2001 1,200 Billionen Euro in der vergeblichen Hoffnung auf einen nachhaltigen Konjunkturaufschwung verjubelt. Die meisten Steuergelder wurden zur Übernahme fauler Bankkredite verwendet, mit denen die aberwitzige Immobilien- und Aktienspekulationsblase der achtziger Jahre finanziert worden war. Der Rest ging in Bauprojekte und als Agrarsubventionen in die Provinz, aus der die produktive Industrie immer stärker nach China abwandert. Das Ergebnis jener Strohfeuer zugunsten der LDP-Klientel sind moderne Fischereihäfen ohne Fischer, Regionalflughäfen ohne Flugzeuge, Autobahntunnels und -brücken zwischen grünen Reisfeldern, weiterhin konkursreife Banken und Lebensversicherungen, und Staatsschulden, die mit 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - Tendenz weiter auf 200 Prozent (2008) steigend - italienische und belgische Dimensionen überschreiten.

Koizumi versprach, solch Konjunkturprogrammen ein Ende zu machen. Doch da in der japanischen Provinz, ähnlich wie in Mitteldeutschland, über zehn Prozent der Arbeitsplätze vom Bau abhängen, führte ihr Ausfall zu einem für japanische Verhältnisse dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit. 5,6 Prozent, das heißt von 3,5 Millionen Japanern, sind ohne Arbeit - und damit ohne echten Sozialschutz.

Koizumi versprach die Bankensanierung. Stattdessen fusionierten Großbanken, allerdings ohne die Kosten spürbar zu vermindern. So schlossen sich die DIK-Bank, die Fuji-Bank und die Japanische Industriebank IBJ zur weltgrößten Mizuho-Bank zusammen. Mizuho verfügt aber über den Weltrekord an faulen Krediten: offiziell 15 Milliarden Euro. Die feudale Bankenführung, die Filial- und IT-Netze bestehen in dreifacher Ausführung weiter. Die Logik der Fusionen: Der Staat wird solche "Dinosaurier" aus Angst vor Skandal und Arbeitslosigkeit nicht sterben lassen. Auch die Banken lassen ihre insolventen Großkunden nicht sterben: Um eine Sanierungstätigkeit vorzutäuschen, erzwingen auch sie Großfusionen, etwa zwischen den Bauriesen Sumitomo und Mitsui Construction und den Stahlgiganten NKK und Kawasaki Steel.

So wandern auch Gelder der Sparer von soliden Regionalbanken in marode Großbanken. Daher ließ Koizumi kürzlich die konkursreife Supermarktkette Daiei mit fünf Milliarden Euro und den Baukonzern Daikyo mit drei Milliarden Euro wieder flottmachen. Die mittelgroßen Baufirmen Sato Kogyo und Aoki ließ er dagegen wie jene 19.000 Mittelständler im Jahr 2001 in den Konkurs gehen. Mindestens 300 Milliarden Euro an notleidenden Bankenkrediten lähmen die Kreditwirtschaft weiter. Transportlizenzen, überhöhte Energie- und Infrastrukturkosten, überteuerte Lebensmittel- und Einzelhandelspreise belasten weiter die Wettbewerbsfähigkeit. Selbst die Privatisierung der Autobahnen und der Postämter droht zu scheitern.

Angesichts dessen könnte bald die Stunde des "rechtspopulistischen" Gouverneurs von Tokyo, Shintaro Ishihara, schlagen. Der hat in Washington, Peking und Seoul zwar keine Freunde, aber als einziger seinen Apparatschiks im Tokyoter Rathaus das Fürchten gelehrt.


 
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