© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/02 10. Mai 2002

 
Neue Technologien: Robotertiere
Effektive Erziehungsmethode
Angelika Willig

Zu den typischen Symptomen der Schizophrenie gehört die Vorstellung, von fremden Mächten "ferngesteuert" zu werden. Selbst die eigenen Gedanken scheinen nicht mehr mit dem Ich identisch zu sein. Bisher durfte man die Betroffenen getrost ins Irrenhaus schicken. Das könnte sich ändern.

Es ist ein einfaches Experiment. Durch Elektroden, kleine am Kopf befestigte Knöpfe, werden elektrische Impulse in das Gehirn von Ratten geleitet. Den Sender dafür tragen sie als "Rucksack" auf dem Rücken. Denn bewegen sollen sich die Tiere können. Der Stimulator ist zugleich Funkempfänger. Und am Funkgerät sitzt Sanjiv Talwar vom Brooklyner Medizin-Zentrum der Universität New York und teilt den Ratten mit, wohin sie zu laufen haben. Emsig klettert der kleine Rucksackträger eine Leiter empor, rennt geradeaus und zögert kurz, bevor es eine steile Rampe hinuntergeht. Wahrscheinlich würde die Ratte auch vom Eiffelturm springen, wenn die Elektrode es befiehlt. Und wahrscheinlich gilt das Ergebnis des Brooklyner Experiments nicht nur für Ratten.

Um jedem Verdacht vorzubeugen, haben die Wissenschaftler gleich eine freundliche Anwendung ihrer Forschung angegeben. Zum Suchen von Minen und Bomben sollen die Tiere eingesetzt werden. Wie Spürhunde sind sie in der Lage, Sprengstoff zu orten, und werden dazu, etwa in Afghanistan, bereits eingesetzt. Doch ist die Dressur einer Ratte viel aufwendiger als deren maschinelle Steuerung. Derartige "Robotertiere" wären ein verlängerter Arm des Menschen - und würden jeden Tiertrainer für Film und Fernsehen arbeitslos machen.

Wie funktioniert es? Nach ihren Schnurrbarthaaren richten sich Ratten normalerweise, wenn sie ihre Bahn suchen. Die Elektroden senden genau in die Hirnregion, wo die Informationen von den Schnurrhaaren ausgewertet werden und melden die gewünschten Daten. Wie mit elektronischen Zügeln lassen sich die Ratten in jede gewünschte Richtung lenken. Und nicht einmal die bei Dressuren obligatorische Belohnung ist mehr vonnöten. Um ein angenehmes Sättigungsgefühl auszulösen, genügt der Impuls im Hypothalamus, der Hirnanhangdrüse, die für die Verarbeitung von positiven Reizen zuständig ist.

Doch was denken die Ratten? Leiden sie, wie die Schizophrenen, an Angst, wenn sie zwischen eigenem und fremdem Willen nicht mehr unterscheiden können? Es scheint nicht so. Streßfrei geht die "Befehlsübergabe" im Dienste der Wissenschaft vor sich. Der Mensch ist da etwas mißtrauischer, er kämpft um sein Ich. Die Frage ist, bei welcher Stromstärke er kapituliert. Da werden noch interessante Experimente auf uns zukommen. Denn die "Anwendungen" einer gedanklichen Fernsteuerung reichen über das Minensuchen oder nette Zirkuskunststücke mit Sicherheit hinaus.


 
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