© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   20/02 10. Mai 2002


1. Mai-Randale in Berlin: Es gibt zu viele Gewinner
Hauptsache Anti!
Alexander Barti

Die Menge, die sich vor der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz eingefunden hatte, war offenbar nicht zu "politisieren". Der Diskussion über das gescheiterte Aktionsbündnis "Denk Mai neu", das von dem Berliner Politologen Peter Grottian initiiert worden war, lauschten die wenigsten. Hier und da Applaus, ansonsten unterhielt man sich, kiffte und trank Bier - nur so wurde die Stimmung besser. Zum Abschluß Sprechgesang von zwei Hip-Hop Kapellen: "Pfefferlounge" und "Bruder von Kronstädta", aber auch ihnen ist es nicht vergönnt, die anwachsende Menge zu begeistern. "Haut ab!"-Rufe und "Effes"; der Aufforderung, die linke Faust in die Luft zu strecken, kommen nur wenige nach. Der Frust auf dem zur Bühne umgebauten Sattelschlepper ist so groß, daß Kronstädta entnervt das Mikrofon wegwirft und seine Darbietung unfreundlich beendet. Vorher hatte er noch die "Freilassung aller politischen Gefangenen von RAF und RZ" gefordert, was nur mit einer kläglichen Zustimmung aus dem Publikum bedacht wurde. "Macht doch euern Scheiß alleene", wird sich der Barde in Biedenkopfscher Manier gedacht haben und gab auf.

Inzwischen ist es 18 Uhr geworden, eine immer größere Menge - vor allem Autonome - strömt zum Luxemburg-Platz; Polizisten kontrollieren die Zufahrtswege und den U-Bahn Aufgang. Jetzt beginnt die eigentliche Veranstaltung, die sogenannte "revolutionäre 1. Mai-Demo". Auf dem Sattelschlepper wird umdekoriert, die rot-schwarzen Fahnen der Anarcho-Antifas kommen zum Vorschein; eine junge Blonde, die aus ihrer üppigen Figur durch "sexistisch" enge Kleidung keinen Hehl macht und ein Solarium gebräunter "Antifaschist", der in jeder Yuppi-Kneipe seinen Mann stehen würde, verlesen die üblichen Anti-Parolen: Anti-Faschismus, Anti-Semitismus, Anti-Rassismus, Anti-Kapitalismus - Hauptsache "Anti".

Der Zug setzt sich langsam in Bewegung, rund 6.000 Krieger für eine Anti-Welt sollen nach Polizeiangaben versammelt sein. Mit der Hymne der Bewegung ("Deutschland muß sterben, damit wir leben können") geht es über die Torstraße, am Alexanderplatz vorbei, über die Janowitzbrücke nach Kreuzberg. Die Route ist hermetisch mit spalierstehenden Polizisten abgeriegelt; Grünflächen werden spontan zu Aborten umfunktioniert. Während der Marschroute kommt es zu keinen Gewalttätigkeiten, obwohl die Polizeibusse, in Berlin liebevoll "Wannen" genannt, direkt und ungeschützt neben den Demonstranten geparkt sind. In der Zwischenzeit ist es dämmrig geworden, ein Hubschrauber kreist mit dröhnenden Rotoren über der Menge.

Kurz vor dem Ende der Fahrt hört man von dem geschniegelten Antifa auf dem Sattelschlepper, daß "die Bullen" die Einkesselung am Michaelkirchplatz planten, weil am benachbarten Mariannenplatz schon Autos brennen würden; man müsse jetzt wissen, "was zu tun" sei. An ein Druchkommen zum Mariannenplatz ist in der Tat nicht zu denken: Wasserwerfer und ein beachtliches Aufgebot an Ordnungshütern stehen auf dem Engeldamm im Weg. Also bleibt nichts anderes übrig, als mit den üblichen Spielchen zu beginnen: Mit dem Transparent vor den Schutzschildern stehen, Beleidigungen brüllen, rangeln; derweil werfen andere Steine. Von einer Einkesselung konnte im übrigen nicht die Rede sein, denn der Weg zurück war nicht versperrt; aber nach Hause gehen schien eben langweilig und gefährlich: ein Jahr lang würde man kein Gesprächsthema haben, keine Geschichten über den hehren Kampf gegen den "Bullenstaat", keine Chance auf Anerkennung in der Szene. Und ist es nicht so, daß selbst in dem größten Anarcho noch ein Mann steckt, der seiner Punk-Braut imponieren möchte? Vielleicht stimmt es ja, daß Gewalt auch sexy ist.

Dann plötzlich brennt das erste Auto, andere werden "entglast". Leider sind die Objekte der Zerstörung eher kümmerlich: eine C-Klasse, zwei Taxen, ein betagter Opel Kadett und ein nicht minder schrottreifer Campingbus. Nicht gerade "Produktionsmittel" des "ausbeutenden Großkapitals" - aber Widersprüche waren schon seit jeher ein Tummelplatz der Linken. Der weitere Ablauf der "Maifestspiele" ist so standardisiert, daß man sich als aufmerksamer Beobachter in einer gähnend langweiligen Seifenoper wähnt: Polizei rein in die Gruppe, Polizei raus aus der Gruppe, hier und da Geschubse und Prügel. Man hat den Eindruck, die Ordnungsmacht nutze die Chance zum Training für schlimmere Zeiten.

Aber ist es nicht so, daß praktisch alle Beteiligten nur Vorteile durch die Randale haben? Die Opposition kann schimpfen, die Medien haben zwei Tage lang großartige Schlagzeilen und Bilder, die Polizei darf wieder Forderungen nach besserer Ausrüstung stellen, die Linken haben was fürs Ego bekommen und letztlich wird der Konsum angekurbelt: Glaser, Autohändler, Reinigungskräfte haben Konjunktur. Prima, wenn alle gewinnen! Alle? Nein, die Verletzten sind die "armen Schweine"; sie sind der Preis für diese Party - allerdings ein Preis, den man auch 2003 gerne bezahlen wird. In diesem Sinne: bis zum nächsten Mal. 


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