© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002


FDP
Das Phänomen Westerwelle
Dieter Stein

Man muß die FDP wegen ihrer vertretenen Inhalte nicht mögen. Inzwischen muß man aber anerkennen, daß es der bislang angegrauten und verstaubten Honoratioren-Truppe unter dem Vorsitzenden Guido Westerwelle gelungen ist, einen ungeahnten Aufschwung zu nehmen.

Noch vor kurzem taumelte die Partei, die Altkanzler Helmut Kohl als Koalitionspartner bis zum bitteren Ende gefolgt ist, von einer Wahlschlappe zur nächsten. Schon hörte mancher das Totenglöckchen klingen und Joseph Fischer mit seinen liberal gelifteten Grünen die Erbschaft der FDP antreten. Es fehlte im Grunde dem ehemaligen Turnschuhträger nur noch der legendäre gelbe Pollunder Hans-Dietrich Genschers und die Freie Demokratische Partei wäre endgültig über die Wupper gegangen.

Sicher: Wenn die FDP mit Pornosternchen Reklame macht, dann ist das widerlich. Lächerlich fanden es viele, als Guido Westerwelle vor gut einem Jahr in den "Countainer" der "Reality-Soap" "Big Brother" stieg und statt mit Bildungsbürgern von der Toskana- mit den Halbstarken der Mallorca-Fraktion vor laufender Kamera diskutierte.

Westerwelle hat nicht nur zielsicher die FDP in seine Hand gebracht, er hatte auch den richtigen Riecher dafür, wie die Strategie von Schröder, aber auch von Stoiber zu durchkreuzen ist, die Bundestagswahl am 22. September nach US-amerikanischem Vorbild von einem Parteien- auf einen Personenwahlkampf zwischen zwei Spitzenpolitikern zu reduzieren - nach dem Schröderschen Motto "Er oder ich".

In einer geschickt inszenierten Kampagne, die auch die Handschrift des umtriebigen FDP-Vize Jürgen W. Möllemanns trägt, überlagerte das Thema "Kanzlerkandidat Westerwelle" selbst bitterernste Themen wie den Mordanschlag auf den niederländischen Politiker Pim Fortuyn oder die Nahost-Politik.

Selbst das zum Skandal erhobene Interview des FDP-Anwärters und Ex-Grünen Jamal Karsli mit der JUNGEN FREIHEIT (siehe Bericht Seite 6) konnte den Schwung nicht bremsen.Es könnte sogar zu einer Situation kommen, in der die Fernsehsender, die die Streitgespräche mit Stoiber und Schröder veranstalten, gar nicht mehr anders können, als Westerwelle hinzuzubitten, wenn sie nicht auf eine gute Einschaltquote verzichten wollen.

Gänzlich wird die Verwirrung perfekt sein, falls sich die auch PDS entscheiden sollte, ihren mittlerweile im Amt des Berliner Wirtschaftssenators immer blasser wirkenden "Talkshow"-Profi Gregor Gysi zum Kanzlerkandidaten zu küren. Dann blieben nur noch die verhärmten Grünen mit dem zerfurchten, grüblerischen Gesicht Joseph Fischers als beleidigte Leberwurst zurück.

Kurz: Viele sehen die Bundestagswahl mit Spannung auf sich zukommen und haben das Gefühl, die parteipolitische Szene bekommt mehr Farbe. Doch Westerwelle ist eben kein deutscher Pim Fortuyn, und wer Westerwelle wählt, bekommt womöglich Dolly Buster als Familienministerin.


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