© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Markenware
Karl Heinzen

Die Loyalität der Verbraucher zu den Herstellermarken, so hat eine Studie der Unternehmensberatung Accenture erneut bestätigt, sinkt, die "No-Name-Produkte" der Handelsketten boomen. Die Idee der ALDI-Volkstribunen hat die Warenwelt demokratisiert. Viele einst autokratische Produzenten sind von ihrem hohen Roß herabgestiegen. Sie haben die Hoheit über die Preise und die Identität ihrer Erzeugnisse abgegeben. Ungeachtet des traurigen Scheiterns der HO ist unter kapitalistischen Rahmenbedingungen der Einzelhandelssozialismus lebendig wie nie zuvor. Eine machtvolle Einkaufspolitik hat hohe Qualitätsstandards bei stabil niedrigen Preisen durchgesetzt. Durch ALDI und Co ist der Massenwohlstand möglich geworden, nicht durch die Ideologen der Marktwirtschaft.

Es ist aber kein Zeichen von Dankbarkeit, sondern ein vernünftiges Kalkül, das die Verbraucher dazu veranlaßt, sich von den Herstellermarken ab- und den Handelsmarken zuzuwenden. In einer so schnellebigen Zeit kann kein Vertrauen zu den Produzenten mehr reifen. Marken wechseln ihren Besitzer und verändern ihr Image, Kontinuitätsbrüche, die dem Verbraucher auf Dauer nicht verborgen bleiben. Der Hersteller ist undurchschaubar. Klangvolle Namen sagen nichts mehr aus, es kann sich ja schon längst um eine Briefkastenfirma handeln. Wer will schon beschwören, wo etwas von wem und unter welchen Bedingungen produziert wird? Greifbar ist hingegen der Händler. Man kennt die Kassiererinnen und hat vielleicht sogar den Filialleiter schon einmal gesehen. Wenn einem zum Nörgeln zumute ist, tauscht er alles mit einem kundenfreundlichen Lächeln um. Bei den Eigenmarken seiner Kette kann er sich nicht auf einen ominösen Produzenten herausreden. Wie immer, wenn Verantwortung zurechenbar ist, kommt dies der Qualität und damit dem Verbraucher zugute.

Die Marken sterben also nicht aus, sie bekommen jedoch einen ganz anderen Stellenwert. Sie dürfen eine Population mit abnehmender mentaler Leistungsfähigkeit nicht überfordern. Die Zahl der Attribute, die der Verbraucher mit einer Marke in Verbindung bringen kann und will, sinkt per se. Letztlich zählt nur noch das gute Gefühl, das man im Augenblick für sie empfindet. Traditionelle Vorstellungen von Qualität werden auf längere Sicht nicht mehr nachvollziehbar sein. Das Produkt entzieht sich dem Urteil, man weiß aber, ob einem das Image zusagt oder nicht. Auch intergenerative Erfahrungen dürften für Jugendliche bald kaum noch eine Rolle spielen, da die Eltern und Großeltern in ihren Heimatländern überwiegend mit ganz anderen oder auch gar keinen Marken zu tun hatten. Die Heranwachsenden lösen den Widerspruch zwischen der Unbildung und den kritischen Allüren, mit dem vergangene Generationen leben mußten, durch eine neue Lebensbejahung und eine Zuwendung zur ökonomischen Realität auf. Man kann mit ihnen mehr machen, aber sie wollen auch, daß mit ihnen mehr gemacht wird.


 
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