© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002

 
Kaum noch Unterschiede zu finden
Wirtschaftspolitik: Die Wahlprogramme von SPD, Union, Grünen und FDP werden sich immer ähnlicher
Bernd-Thomas Ramb

Parteiprogramme stehen nicht gerade im Ruf, vom Wahlvolk als Massenschmöker verschlungen zu werden. So sinkt auch ihre Bedeutung für die Wahlentscheidung in dem Maße, wie der Verdacht steigt, Politiker kümmerten sich um das "Geschwätz von gestern" keinen Deut. Dennoch lohnt ein Blick auf die politischen Absichtserklärungen der Parteien, insbesondere im Vergleich. Signalisieren sie doch die grundsätzliche Position der Parteien zu den einzelnen Problemfeldern, ihrer Rangordnung und der Intensität ihrer Lösungsanstrengungen. Im Bereich der Wirtschaftspolitik zeigen die Parteiprogramme zudem, wie weit die einzelnen Parteien begriffen haben, daß Wahlen aus dem Bauch heraus und gerade dann mit dem Magen entschieden werden, wenn dieser in wirtschaftlich mageren Zeiten hörbar zu knurren beginnt.

Den Anfang im Reigen der Programmpräsentationen machte die SPD, wohl eher nach dem Motto "Bringen wir's schnell hinter uns". Gerade im Bereich der Wirtschaftspolitik kann die SPD zwangsläufig kein übersteigertes Interesse an spektakulären Programmideen heucheln. Zu blamabel ist ihre gegenwärtige Regierungsbilanz. So beschränkt sich die SPD in ihrem Wahlprogramm mehr auf ein Lamentieren, welch übles Erbe sie vor vier Jahren übernommen habe, und daß man auf dem besten Weg sei, aber noch etwas Zeit brauche. Fest stehen die Sozialdemokraten zum Ziel der Beseitigung des Schuldenzuwachses bis zum Jahre 2006. Die bei der Bevölkerung verhaßte Ökosteuer will man nach der nächsten Erhöhung zum 1. Januar 2003 auf diesem Stand einfrieren. Die in Aussicht gestellte Erhöhung des Kindergelds auf 200 Euro wird dagegen von einer Verbesserung der Haushaltssituation abhängig gemacht. Vorrang habe die staatlich organisierte Betreuung. Dafür sollen die Kommunen eine Milliarde Euro pro Jahr erhalten. Beim Projekt Steuersenkung bleibt die SPD beim Zielwert 42 Prozent für den Spitzensteuersatz. Der Programmpunkt "Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe" bedurfte eigentlich keiner besonderen Erwähnung, da er inzwischen bei allen Bundestagsparteien - außer der PDS - vorkommt.

Die Devise "Möglichst seriöse Wahlversprechen, kein Finanzierungsrisiko, aber freundliche Optik bei den Familiensubventionen" ist auch im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU/CSU vorzufinden. Die Strategie, niemandem Wehe und allen Wohl tun zu wollen, scheint ein Muß für die großen Parteien zu sein. Stoiber präsentiert allerdings eine Mogelpackung, wenn er den Wählern eine spektakuläre Entlastung von sieben Milliarden Euro verspricht. Sie berechnet sich zu mehr als einem Drittel aus dem Verzicht auf die nächste Ökosteuererhöhung. Ganz abschaffen will er sie aber nicht. Sie soll dagegen die wohl als freundlicher empfundene Bezeichnung "schadstoffbezogene Abgabe" erhalten. Die Feigheit vor der Steuersenkung auf diesem Gebiet wird auch nicht durch den Trick gemildert, eine europäisch einheitliche Lösung für die Ökosteuer anstreben zu wollen. Das Wort Abgabe bedeutet im Gegensatz zur Steuer eine zweckgebundene, mit dem Erhebungsgrund verknüpfte Verwendung der Einnahmen. Dazu aber schweigt das Unionsprogramm.

Deutlicher wird die CDU/CSU beim Thema Kindergeld. "600 - 300 - 150 Euro" heißt der Dreiklang, der spätestens ab 2004 als Familiengeld den Kindern unter drei, unter 18 Jahren und dann für die Dauer der Ausbildung zukommen soll. Ein klares dreimal 40 auch im Bereich der Steuern und Sozialabgaben: Spitzensteuersatz von 40 Prozent, Abgabenlast für die Sozialversicherung bei maximal 40 Prozent und Senkung der Staatsquote unter 40 Prozent. Wirklich bestechend wirkt im Unionsprogramm allein das Vorhaben zur radikalen Neuorganisation des "630-Mark-Gesetzes". Für bis zu 400 Euro sollen demnächst keine Sozialabgaben mehr, sondern lediglich eine Pauschalsteuer von 20 Prozent entrichtet werden - wie vor 1999.

Die magische Macht der dreifachen Zahl beherrscht auch das Programm der FDP. Der Unions-40 setzt sie eine 35 für Spitzensteuersatz, Sozialabgaben und Staatsquote entgegen. Als kleiner Koalitionspartner haben es die Freidemokraten auch leichter, zunächst hehre Ziele zu fixieren und später deren mangelhafte Realisation dem Regierungspartner anzulasten. Immerhin treten sie in offenen Widerspruch zu den Großparteien und damit potentiellen Koalitionspartnern, wenn sie die gänzliche Abschaffung der Ökosteuer fordern. Sympathisch, möglicherweise ebenso weltfremd, auch die optimistische Vorstellung, die durch die Steuersenkungen hervorgerufenen Steuerausfälle durch Kürzungen bei den staatlichen Subventionen, vor allem im Kohlebereich, ausgleichen zu können. Das wird nicht nur nicht mit der SPD, sondern aller Erfahrung nach auch nicht mit der CDU/CSU durchsetzbar sein.

Auch bei der geringfügigen Beschäftigung legt die FDP eine Schippe drauf. Nicht auf 400 Euro, sondern auf 630 Euro soll künftig die Grenze angehoben werden. Wahrhaft originell ist dagegen der Vorschlag, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe durch ein "Bürgergeld" abzulösen. Damit wäre dem Anreiz zur Arbeitsaufnahme marktkonformer gedient, als mit der von den Großparteien geplanten Alimentation der Sozialabgaben in den unteren Lohnbereichen.

Die um anerkannte Fachleute dezimierten Grünen bieten in ihrem Wahlprogramm zwar das für Kleinparteien übliche Konkretisierte, in der Gesamtbetrachtung jedoch sehr Widersprüchliches. Sehr FDP-nah ist die Forderung nach Abbau der Kohlesubventionen, die sogar Trittin lieber zur Finanzierung von Steuersenkungen heranziehen will. Die Ökosteuer soll allerdings bleiben.

Die Arbeitslosen- und Sozialhilfe wollen auch die Grünen zu einer "steuerfinanzierten, bedarfsorientierten und pauschal gewährten Grundsicherung" umwandeln. Da ist es zum Bürgergeld nicht mehr weit. Als bessere Sozialdemokraten beweisen sich dagegen die Grünen mit ihrem Begehren, für die Kinderbetreuung nicht nur eine, sondern fünf Milliarden Euro jährlich bereitzustellen. Das Kindergeld der Union als "Gebärprämie" belächelnd, zielen die Grünen eher auf die Klientel der alleinerziehenden Ein-Kind-Gestreßten. Ob das für das Projekt "8+x Prozent" reicht?


 
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