© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002

 
Sorgenvolle Blicke
Schröder/Walser-Gespräch: Ein Skandal wollte sich partout nicht einstellen
Alexander Barti

Vor den beiden Eingängen bilden sich lange Schlagen; Mannschaftswagen der Polizei sorgen für das nötige Knistern in der Luft und rund 150 lärmende Demonstranten, die mit wehender Israel-Fahne "Keinen Freispruch für Deutschland" fordern, runden das Bild ab am 8. Mai, als in der Berliner SPD-Zentrale Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Schriftsteller Martin Walser zum gemütlichen Plausch zusammenkamen. Man will sich austauschen über "Nation, Patriotismus und demokratische Kultur" und hat damit gezielt Begriffe ins Spiel gebracht, die nicht nur für manche Sozialdemokraten noch immer Reizworte sind.

Um es gleich vorwegzunehmen: Was bei dem Gespräch herauskam, war eine harmlose Männerrunde. Direkt vor dem Podium lauschte man präventiv mit sorgenvoller Stirn, nur im fünften Stock, wo die Zuvielgekommenen das Geschehen vor einer Leinwand verfolgen konnten, war die Stimmung wesentlich gelöster - Gelächter und Applaus bei einigen Sätzen.

So blieb der ehemals links-alternativen, inzwischen jedoch zum Regierungsorgan gewordenen taz anderntags auch nichts anderes übrig, als von einer "historisch korrekten Rede" Schröders zu berichten, die "zu enttäuschen verstand". Die NS-Vergangenheit sei verblaßt, so daß es inzwischen unverdächtig sei, "in anrüchigen historischen Kontinuitäten zu stehen"; und der "strenge pädagogische Ethos der Vergangenheitsverarbeitung" verdampfe. Man könnte fast Mitleid empfinden bei solchem Lamento.

Gerhard Schröder begann seine Rede mit dem Credo der Bundesrepublik, als er darauf verwies, daß die nationale Frage der Deutschen "in das größte Verbrechen des 20. Jahrhunderts" geführt habe: in "den Zweiten Weltkrieg und den Völkermord der Deutschen an den europäischen Juden. Wir gedenken heute", so Schröder weiter, "der Toten, die Krieg und Diktatur gefordert haben, (...) der sechs Millionen Juden, die von Deutschen ermordet wurden, (...) der millionenfachen Opfer, die der von Deutschen angezettelte Krieg unter den Völkern Europas und der Sowjetunion gefordert hat, (...) des unsäglichen Leids, das dieser verbrecherische Krieg über unser eigenes Volk gebracht hat". Danach war es nicht mehr schwer, von dem "großen deutschen Patrioten Willy Brandt" zu reden, der einst behauptet habe, daß die Sache der Nation bei den demokratischen Linken immer besser aufgehoben gewesen sei.

Dann erläuterte Schröder die Motive für die Ostpolitik der sozialliberalen Regierung Anfang der siebziger Jahre: sie seien "sehr wohl patriotisch" gewesen, und wenn es 1990 zur Vereinigung gekommen sei, dann nur, weil es diese "Entspannungspolitik" gegeben habe. Kein Wort über die rüden Attacken des "großen Patrioten" gegen die rudimentären Wiedervereinigungsphantasien in Westdeutschland, tiefes Schweigen über das eigene herzliche Verhältnis zu den DDR-Kerkermeistern. So funktioniert historische Legendenbildung.

Aber wozu sich lange aufhalten bei der Vergangenheit, wenn man mit Blick auf die Nachbarländer warnen kann vor einer "gefährlichen Re-Nationalisierung unter vordemokratischen Vorzeichen", die nur entstehen könne, wenn Unsicherheit herrsche. Wieso Schröder gleich darauf das berühmte Zitat von Ernest Renan bemüht, in dem der Franzose 1882 in Hinblick auf die Nation von einem "täglich wiederholten Plebiszit" spricht, bleibt zumindest unklar, läßt er doch damit den "Gemeinwillen" des Jean-Jaques Rousseau durchschimmern - die berüchtigte Theorie des totalitären Staates der Neuzeit.

Gegen Ende - in wenigen Tagen beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft - noch ein Bekenntnis zur deutschen Nationalmannschaft, für die Schröder nicht deshalb die Daumen drückt, "weil wir ein so wunderbares Grundgesetz haben", sondern weil man stolz sein könne "auf die Menschen in Deutschland und auf das, was sie geleistet haben". Schicksal sei bestenfalls die geographische Lage im Herzen Europas, die Aufgabe Deutschlands daher die eines "Brückenbauers" mit "selbstkritischem Selbstbewußtsein", "wohlverstandenen Eigeninteressen" und eingebunden in "internationaler Solidarität".

Und Martin Walsers Gegenrede? Ein Schriftsteller hat den Vorteil, daß er eigentlich immer nur Selbstgespräche führt. Wenn er außerdem schon älter, geehrt und ein fester Bestandteil des Kulturbetriebs ist, braucht man Neues nicht mehr zu erwarten. Walser, für den die Nation ein erlebtes Gefühl bleibt, eine "Schicksalsgenossenschaft", zitiert Golo Mann mit den Worten, der Erste Weltkrieg sei die "Mutterkatastrophe des Jahrhunderts" gewesen. Walser zeigt sich damit als Romantiker, für den die Nation eine personale Wesenheit darstellt: Bismarck habe noch eine "pubertierende Nation" im Zaume halten müssen, und die Zeit zwischen 1945 und 1990 sei ihre "Läuterungsstrecke" gewesen - aber als Individuum habe man sie nicht mit der Teilung bestrafen können, weil es die Nation als Individuum nicht gäbe. Diese Aussage bleibt widersprüchlich.

Aber dann wieder deutliche Worte: "Ohne diesen (Ersten Welt-)Krieg kein Versailles, ohne Versailles kein Hitler, ohne Hitler kein Weltkrieg zwei, ohne Weltkrieg zwei nichts von dem, was jetzt unser Bewußtsein oder unser Gefühl bestimmt, wenn wir an Deutschland denken". Raunen bei den Kollegen von der Presse, die Blicke werden noch sorgenvoller. Schützenhilfe für "das wichtigste Glied in der historischen Kette" holt sich Walser aus den Memoiren des amerikanischen Öl-Millionärs Paul Getty, wo der Vertrag als "rachsüchtig" gebrandmarkt wird, der die deutsche Wirtschaft total zerrüttet und einen gerechten Frieden unmöglich gemacht habe.

Ebenfalls altbekannt sind die Thesen gegen die "Instrumentalisierung von Auschwitz", die von den "Betroffenen" selbst dann noch gefordert werde, wenn ihr Charakter als "Lippengebet" offensichtlich sei. Nochmal nervös dürften die "Gewissenspfleger der Nation" geworden sein, als Walser im Rückblick auf die Teilung nicht nur Thüringen und Sachsen eingemeindet, sondern auch Schlesien und Ostpreußen - doch der Vorwurf des Revanchismus bleibt aus. Vielleicht deswegen, weil zum Ende "die Lösung der deutschen Frage" Europa ist, und weil es "Nationen einmal nicht mehr geben" wird.

Das anschließende Gespräch blieb ein konturloses Geplänkel mit schnell wechselnden Themen, wie man sie in den unzähligen Talkshows Tag für Tag über die Mattscheibe flimmern sieht. Schröder war dabei in Gedanken wahrscheinlich schon in Afghanistan, wohin er gleich nach der Veranstaltung aufbrach, und Walser gab seine Altersweisheit ungezwungen zum Besten.

Das einzige wirkliche Ärgernis an diesem Abend war der Moderator, der Zeit-Redakteur Christoph Dieckmann, der die vermeintlichen Befindlichkeiten des "Quoten-Ossis" vertrat und dabei - völlig überfordert - hoffnungslos scheiterte.


 
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