© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002

 
Eine saubere Sache
Kino: "Der Glanz von Berlin" von J. Keil und A. Kruska
Ellen Kositza

Daß ein Dokumentarfilm zu Kinowürden gelangt, ist an sich selten genug. Und wenn überhaupt, pflegt ein solcher Tiere zum Thema zu haben: das wilde und weithin unbekannte Leben von Vögeln, Bären, Insekten vielleicht, ein prächtiges Panorama, bisher ungesehener Nahaufnahmen.

Objekt dieses Films hier sind Putzfrauen. Fleißige Arbeiterinnen, Rädchen im Getriebe der Weltstadt Berlin, ohne die es stauben, gammeln, schimmeln würde. Die Idee zum Film sei den jungen Regisseurinnen Antje Kruska und Judith Keil (beide Jahrgang 1973) zufällig gekommen, in einem vernachlässigten Vater-Sohn-Haushalt, durch den sich eine Putzfrau unbeirrt durch schmutzige Unterwäsche und angeschimmelte Geschirrberge kämpfte. Die Suche nach nicht kamerascheuen "Raumpflegerinnen" , wie die Berufsbezeichnung politisch korrekt lautet, gestaltete sich schwierig, sämtliche in Tageszeitungen inserierende Stellensuchende lehnten das Ansinnen der Filmemacherinnen ab, ihren Alltag durch Kameraaufnahmen dokumentieren zu lassen.

Auf eine gezielte Anzeige von Kruska/Keil hin meldeten sich dann drei Frauen zwischen Mitte vierzig und Ende fünfzig, die hier vorgestellt werden: Gisela, dauergewellt und mit weißgelb gefärbtem Deckhaar, lebt mit ihrem Mann seit 35 Jahren in einer überaus glücklichen Ehe. Er ist frisch in Rente, Hausmann aus Passion, fährt seine Frau jeden Tag um drei Uhr früh zum Dienst und rügt mit neckendem Unterton später, nach dem gemeinsamen Abendessen in der heimischen Wohnung selbst mit Eimer und Lappen unterwegs, die mangelnde Genauigkeit seiner Frau bei der Putzarbeit daheim. "Klar. Man kann Gläser spülen und sie dann abtropfen lassen. Kann man. Man stellt sie in den Schrank, holt sie am nächsten Tag heraus, und, Gisela, sag's halt" - ein liebevoll rügender Blick -: "Streifen!"

"Geh doch auch endlich in Rente", schlägt er ihr wiederholt vor, "wir könnten soviel unternehmen, im Amtsgericht Moabit bei interessanten Verhandlungen zuschauen, oder Zoobesuche vielleicht."

Doch Gisela mag "keine Mörder anschauen", und sie liebt ihren Beruf. Genau wie Delia, die in ihrer Freizeit großflächige Ölbilder malt und doch durch ihre Putz- und Bügelarbeiten in verschiedenen Privathaushalten eine andere Art Befriedigung erfährt. "Ein streifenfreies Fenster - da weiß man, daß es stimmt. Bei einem Bild weißt du das nie wirklich." Delia, die Argentinierin, reflektiert viel über ihr Tun, über seinen Wert und seine Bedeutung, versteigt sich dabei mitunter in geradezu philosophische Höhen und endet doch bei bodenständigen, pragmatischen Antworten. Einer ihrer Arbeitgeber, ein karriereorientierter CDU-Abgeordneter, lädt sie manchmal zu seinen privaten Feiern ein, doch da mag sie nicht kommen. "Wir sind doch schließlich keine Freunde", sagt sie freundlich und entwaffnend ehrlich. "Ja, das stimmt schon", muß der höfliche Politiker verlegen zugeben.

Ingeborg, eine außergewöhnlich attraktive, geschmackvoll gekleidete 59jährige lebt nach über Jahrzehnte permanent scheiterndem Privatleben in einer erstaunlich geschmacklosen Wohnung und befindet sich auf der Suche nach einer neuen Putzstelle sowie dem Sinn des Lebens. Nicht nur von ihr erfährt man viel, auch von den Leuten, die per Annonce eine Putzfrau suchen, dabei sind die Anrufe sowenig wie sämtliche Filmszenen uninszeniert und gänzlich live aufgenommen: Einer will sie nackt putzen sehen, ein anderer ist selbst Nudist, daß er sich nackend in seiner Wohnung bewegt, dürfe Ingeborg nicht stören, "ich will mich schließlich nicht verstellen". Ingeborg, habituell verständig und ironiefrei: "Ja, wer will das schon."

Antje Kruska und Judith Kreil ist ein erstaunlicher Film gelungen, frei von mitleidigen Sozialklischees, geprägt von einer exzellenten Beobachtungsgabe, eine "ethnographische Exkursion in die nahe Fremde hinter gewissenhaft polierten Glasscheiben" (taz).

"Der Glanz von Berlin" läuft bis in den Sommer hinein bundesweit zu unterschiedlichen Startterminen in Programmkinos an.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen