© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/02 17. Mai 2002


Es geht nur mit den Russen
Ein Siedlungsprojekt bei Königsberg soll das Konzept "Ostpreußen als Land der Rußlanddeutschen" verwirklichen
Moritz Schwarz

Die Wende des Jahres 1989 kannte keine Gnade mit all jenen kalten Kriegern, die die politischen Verhältnisse in Europa, die durch den Zweiten Weltkrieg und den Sowjetimperialismus geschaffen worden waren, zynisch als gerechten Schiedsspruch der Geschichte betrachteten. Denn die die Annektion dieses Gebietes als Raub entlarvende Abtrennung der "Oblast Kaliningrad" - also des sowjetisch besetzten Nordostpreußens - vom russischen "Mutterland" durch die wiedererlangte Unabhängigkeit der baltischen Staaten machte den Unrechtscharakter der europäischen Nachkriegsordnung besonders augenfällig. Dennoch wird die von der Geschichte gestellte Nordostpreußen-Frage von Politik und Gesellschaft in Deutschland konsequent ignoriert.

"Besonders die Russen im Gebiet Königsberg sind es, die nach 1989 eine deutsche Antwort auf diese historische Fragestellung erwartet haben", faßt Dietmar Munier seine Erfahrungen mit den neuen Herren Nordostpreußens zusammen. Der Verleger war 1992 das erste Mal nach Ostpreußen gereist, kurz nachdem das Gebiet, das über vierzig Jahre militärischer Sperrbezirk war, erstmals geöffnet wurde. Auf der Reise war ihm die Idee gekommen, sich für das deutsche Erbe des aus der politischen Vereisung auftauenden Nordostpreußens zu engagieren. Es galt, eine deutsch-russische Synthese für das Gebiet zu finden und so der deutschen Vergangenheit in einer russischen Gegenwart zu ihrem Recht zu verhelfen. Das Konzept ist, Nordostpreußen zum Land der Rußlanddeutschen zu machen, die 1941 von Stalin deportiert wurden und somit nach dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion heimatlos waren.

"In Nordostpreußen geht es nur mit den Russen, nicht gegen sie", erkannte Munier bald und integrierte von Anfang an die dort inzwischen einheimischen Russen in sein Projekt.

Nach Aufhebung der militärischen Sperre strömten jährlich Tausende von Rußlanddeutschen aus Zentralasien nach Nordostpreußen. Munier beschloß, die Ansiedlung durch Wohnungsbauten für Rußlanddeutsche und die Gründung einer deutschen Schule zu unterstützen. Da der in Königsberg vorhandene Wohnraum - Neubauten aus der Sowjetzeit - zu hundert Prozent mit Russen belegt war, siedelten die rußlanddeutschen Neuankömmlinge in den Dörfern außerhalb der Stadt. Zum Beispiel in Trakehnen - dem für sein einstiges Gestüt weltbekannten Ort - wo die zur Bewerkstelligung dieser Aufgabe gegründete "Gesellschaft für Siedlungsförderung in Trakehnen" (GST) mit dem Bau der Siedlung Amtshagen, etwa fünf Kilometer weg von Trakehnen, begonnen hat - finanziert duch das Spendensammelprogramm "Aktion Deutsches Königsberg".

Unterstützt vom russischen Bürgermeister, aber mißtrauisch beäugt von Altkadern und so manchem Einheimischen, richtete man 1992 im Gebäude der russischen Schule Trakehnens eine deutsche Schule ein. Die erste deutsche Lehrerin reiste an und packte nach drei Tagen entnervt wieder ihre Koffer. Doch ihre Nachfolgerin, die bereits eine Woche später in die Bresche sprang, erwies sich als robuster. Damit begann der regelmäßige Unterricht in der "Deutschen Schule Trakehnen". Munier gründete mit Freunden einen "Schulverein", der das Projekt durch Spendensammlungen in Deutschland dauerhaft finanzieren sollte. Das Lehrerkollegium - aus der Bundesrepublik anreisende Freiwillige - wuchs ebenso wie die Schülerschaft.

Bald wurde klar, daß die Schule durch weitere Infrastrukturmaßnahmen ergänzt werden müßte. Man eröffnete eine Fremdenpension und gründete einen Verbrauchermarkt. Als Träger dieser Projekte fungierte erneut die GST. Da in Nordostpreußen nicht nur Infrastruktur, sondern genauso Baugerät und -material fehlt, mußte nicht nur eine große Halle errichtet werden, in der man Fahrzeuge und Geräte abstellen konnte - und die natürlich prompt ausgeraubt wurde -, sondern auch eine Ziegelei. Bis dahin mußten die Ziegel für den Siedlungsbau aus Litauen eingeführt werden, da russische Industrie und Handwerk in Nordostpreußen nicht in der Lage waren, eigene Ziegelsteine herzustellen.

Heute lernen Russen und Deutsche nicht nur in der Deutschen Schule, sondern auch in den verschiedenen GSTeigenen Handwerksbetrieben, die inzwischen der zweitgrößte Arbeitgeber im Ort sind. 1998 wurde mit dem Bau einer zweiten Siedlung, der Agnes-Miegel-Siedlung, direkt am Rande Trakehnens begonnen. Und sogar der Aufbau einer neuen Trakehner Pferdezucht wurde in Angriff genommen. Inzwischen sind insgesamt fünfzehn Doppelwohnhäuser im Bau, in denen bereits zehn rußlanddeutsche Familien mit etwa fünfzig bis sechzig Angehörigen wohnen.

Im vergangenen Jahr stattete der russische Gouverneur der "Oblast Kaliningrad" dem Siedlungsprojekt einen wohlwollenden Besuch ab. Andreas Stolzke, Geschäftsführer der GST, berichtet: "Der Gouverneur war begeistert, kein Wunder, denn endlich tut hier mal einer was. Verständlich, daß die Administration auf unserer Seite steht." Wichtig sei nur, so Stolzke, Russen und Deutsche gleich zu behandeln, sonst, "werden uns morgen die Scheiben eingeschmissen".

Dennoch ist nicht alles eitel Sonnenschein: Initiator Munier hat inzwischen Einreiseverbot für Nordostpreußen, was er allerdings mit der Andeutung quittiert: "Wenn ich einreisen wollte, hat mich nie jemand daran gehindert. Unsere Partner bei der russischen Verwaltung in Königsberg haben mir stets schöne Grüße und ihr großes Bedauern ausrichten lassen, aber diese Regelung gehe nicht von Rußland aus..."

Und auch mit Anschuldigungen politischer und persönlicher Natur hat er sich herumzuschlagen. Das Projekt ziele auf die "Regermanisierung" Ostpreußens und sei daher "rechtsradikal", so beklagt die bundesdeutsche Presse, wenn sie überhaupt Notiz von dem Projekt nimmt. Von russischer Seite bleiben solche Vorwürfe dagegen aus. Dietmar Munier reagiert auf solche Aussagen mit dem Angebot: "Jeder ist herzlich nach Trakehnen eingeladen, um sich selbst ein Bild zu machen."

 

Kontakt: Aktion "Deutsches Königsberg", Postfach 3603, 24035 Kiel


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