© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
"Stellt die Mörder endlich vor Gericht!"
Österreich: Zehntausende Kroaten gedachten in Bleiburg den von Tito-Partisanen 1945 ermordeten Soldaten und Flüchtlingen
Carl Gustaf Ströhm

Bleiburg ist ein idyllisches Städtchen im Süden Kärntens - wenige Kilometer von der slowenischen Grenze. Der Name aber hat für die Kroaten einen furchtbaren Klang: Hier wurden im Mai 1945 die kroatische Armee sowie zahlreiche zivile Flüchtlinge von den Briten, die Kärnten bereits besetzt hatten, an die jugoslawischen Tito-Partisanen ausgeliefert. Was folgte war ein schreckliches Blutbad, dem Tausende zum Opfer fielen. Die genaue Zahl der von den Partisanen Ermordeten ist nicht bekannt. In ganz Slowenien könnten im Mai und Juni 1945 - nach Angaben slowenischer Opfer-Organisationen - fast 200.000 Menschen ermordet worden sein.

Auf dem berühmt-berüchtigten Bleiburger Feld - einer Ebene, die sich bis zur Staatsgrenze hinzieht und wo einst die national gesinnten Kroaten, die sich der britischen Armee ergeben wollten, auf ihr Schicksal warteten - fand auch in diesem Jahr wieder die bereits traditionelle Gedenkfeier statt. Zehntausende von Kroaten aus der Heimat, aber auch aus Europa und Übersee waren gekommen, um in einer Feierstunde samt Gottesdienst ihrer Landsleute und Angehörigen zu gedenken, die von hier aus den Marsch in den Tod antreten mußten.

Ein schlichter Gedenkstein mit dem kroatischen Schachbrett-Wappen erinnert an das Verbrechen. Die Inschrift ist zweisprachig - auf Deutsch heißt es: "Zum Gedenken an die gefallenen Kroaten". Der kroatische Text ist ausführlicher und kommt dem Tatbestand näher: "Zu Ehre und Ruhm der gefallenen Kroatischen Armee - Mai 1945".

Ehre und Ruhm der Kroatischen Armee

Über den Köpfen der Menge wehten unzählige rot-weiß-blaue kroatische Fahnen, am improvisierten Altar las man die Inschrift: "Gott schütze Kroatien!" Der oberste Militär-Seelsorger der kroatischen Streitkräfte, Don Nikola Roscic, sprach in seiner Predigt von einem "kroatischen Holocaust", denn im Zweiten Weltkrieg seien nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen etwa 800.000 Kroaten umgekommen.

Jetzt, so sagte der katholische Geistliche, müsse die Wahrheit über das ans Tageslicht, was sich nach 1945 in "Titos Lagern" zugetragen habe. Das demokratische Kroatien dürfe sich nicht nur auf "Antifaschismus" aufbauen, sondern in gleicher Weise auch auf "Antikommunismus" und "Kroatismus" - das heiße Liebe zum Vaterland. Noch vor Beginn des Gottesdienstes kam es zu einem Zwischenfall. Als der Zagreber Parlamentsvizepräsident und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Zdravko Tomac, eine Ansprache halten wollte, setzte ein solches Pfeifkonzert untermalt mit Buh-Rufen ein, daß der prominente sozialdemokratische Politiker - der früher eine führende Position in der kroatischen KP bekleidete - abbrechen mußte. "Verschwindet!", "Stellt die Mörder endlich vor Gericht!", "Wir waren unter dem Kommunismus unschuldig eingesperrt!" - lauteten einige der Zwischenrufe.

"Ich bin gekommen, um mich für etwas zu entschuldigen, was andere getan haben, aber nicht ich!", versuchte sich der 65jährige SDP-Politiker Tomac zu rechtfertigen, der schon aufgrund der "Gnade der späten Geburt" als Täter von damals nicht in Frage kommt. Aber die versammelten Kroaten wollten ihn nicht hören - obwohl er ihnen versicherte, sie hätten das Recht, ihn auszupfeifen, aber sie hätten kein Recht, "Haß zu säen". Hier zeigte sich das tiefe Dilemma, welches der Begriff "Bleiburg" und die darauffolgenden Todesmärsche in den Köpfen und Herzen vieler Kroaten hinterlassen haben. Vergebens versuchte Militärseelsorger Roscic die Gemüter zu beruhigen.

Erst als der Organisator der Gedenkfeier, Ante Saric, vor der "Ehrenkompanie Bleiburg" (einer nationalkroatischen Veteranenorganisation) das Wort ergriff, beruhigte sich die aufgebrachte Menge. Saric sagte, die Schuld an der Tragödie von Bleiburg vor 57 Jahren läge bei den Jugoslawen, den Serben, den Montenegrinern, den Slowenen und den Briten (die 1945 das Gebiet besetzten). Schuldig seien aber auch jene Kroaten, die sich damals von den Ideen des Kommunismus hätten verführen lassen. Dann sagte der Feldgeistliche: "Kein einziger dieser selbstgerechten und sündigen Jugoslawen hat sich bisher für dieses Verbrechen entschuldigt!"

Kein einziger Täter hat sich bislang entschuldigt

Schließlich kam der Militärseelsorger auf die gegenwärtige Lage des Landes und Volkes zu sprechen. Heute müsse man mehr denn je besorgt sein, denn die Kroaten hätten die Notwendigkeit der gegenseitigen Versöhnung und der Einmütigkeit vergessen. Anspielend auf die Politik der Linkskoalition - zu der auch der ausgepfiffene Tomac gehört - sagte er, Kroatien sei innerlich zerrissen, das Mutterland und die kroatische Diaspora im Ausland stünden gegeneinander. "Es wird immer schwerer, in Kroatien zu leben", spielte er auf die wirtschaftliche und soziale Lage an.

Offenbar im Blick auf die jetzt regierende postkommunistische Koalition rief er: "Jene, die sich das Recht herausnehmen, dieses Volk zu führen, sind verpflichtet, seine Verzweiflungsschreie zu hören!" Auf dem Bleiburger Feld sei 1945 ein Verbrechen begangen worden, für das niemand jemals zur Verantwortung gezogen wurde.

Das diesjährige kroatische Gedenken in Bleiburg aber hatte noch ein bezeichnendes Nachspiel. Einen Tag später, als sich die Teilnehmer längst wieder verlaufen hatten und auch der ausgepfiffene Parlaments-Vizepräsident abgereist war, erschien plötzlich und unerwartet der kroatische Ministerpräsident Ivica Racan in Bleiburg, legte einen Kranz vor dem Gedenkstein nieder und entschuldigte sich für das, was dort 1945 im Namen der Sieger geschehen war.

Das war ein geschickter Schachzug des SDP-Taktikers Racan, der in titoistischer Zeit eine der Zentralfiguren der kroatischen KP war. Sein Erscheinen war aber zugleich auch ein Symptom für die Unruhe und Unzufriedenheit im heutigen Kroatien. Um seine immer wackligere Regierung - Umfragen sehen die Koalition unter 38 Prozent - vor dem Volkszorn zu retten, schluckte Racan auch die Bleiburger "Kröte".


 
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