© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/02 24. Mai 2002

 
Wechselspiele geschlechtsreifer Großstädter
Kino: "Seitensprünge in New York" von Edward Burns dreht sich um einen libidobewegten Kreis junger Leute
Ellen Kositza

Filmvorführungen für die Presse finden nicht selten Monate vor dem offiziellen Starttermin statt. Fremdsprachige Filme pflegen zu diesem Zeitpunkt häufig noch nicht deutsch synchronisiert oder mit Untertiteln versehen zu sein. Bei solchen Presseschauen im Originalton zählt es zum gängigen Verhalten der anwesenden Medienleute, bei etwas subtilerer Komik im Film oder bei Wortwitz, der ohnehin unübersetzbar bleibt, ein plakativ lautes Lachen anzuheben, als Zeichen für: "Hört, ich habe die Pointe verstanden". Dabei ist es mit bloßen Schulenglisch-Kenntnissen manchmal schwer, hintergründige Handlungen lückenlos zu verfolgen, ohne das Nicht-Verstandene bloß kombinatorisch zu assoziieren.

Die Notwendigkeit präziser Übersetzungskünste ist bei Sidewalks in New York - "Seitensprünge in New York" denkbar gering, werden die Protagonisten in dem zunächst dokumentarisch angelegten Streifen doch weitgehend mit simplen Fragen eines Themenkreises konfrontiert: Wann verloren Sie ihre Jungfräulichkeit? Wieviele Sexpartner hatten sie bereits, falls zählbar?

Im Verlauf des Films werden die Lebenswege und Kohabitationsgewohnheiten der Männer und Frauen, die ein unsichtbar bleibender Reporter scheinbar wahllos auf New Yorks Straßen befragt, zusammengeführt. Die junge farbige Grundschullehrerin Maria (17 Männer, sämtlich "dauerhafte Beziehungen") hat seit ihrer Scheidung vom jungenhaften Hotelpagen Benjamin (eine Frau, Grund: Liebe) nicht mehr "gedated", lernt dann aber in einer Videothek den sympathischen Karrieretypen Tommy (neun Frauen, Grund: Katholik) kennen und möglicherweise lieben.

Benjamin, der unglücklich Geschiedene, wird von seinem Freund beraten, sich seinen Liebeskummer mit anderen Frauen zu vertreiben, und so beginnt er, die neunzehnjährige Kellnerin Ashley (elf Männer) erfolglos mit Liebesschwüren zu umgarnen. Ashley wiederum unterhält eine geheime Stundenhotel-Affäre mit dem geschiedenen und seit einigen Jahren wieder verheirateten Zahnarzt Griffin (geschätzte 200 Frauen, "ich habe eine europäische Vorstellung von Ehe - die deutsche Mentalität vielleicht ausgenommen"), von dem sie sich so sehr wünscht, einmal in der Öffentlichkeit, vielleicht in ein nettes Lokal ausgeführt zu werden.

Griffins zunächst ahnungslose Gattin wiederum, die Mittzwanzigerin Annie (drei Männer, ein Schwuler inklusive), möchte dem Reporter eigentlich keine Auskünfte über ihr Sexleben geben, sie sei schlicht zufrieden, und sie interessierten vielmehr die wirklich wichtigen Fragen des Großstadtlebens: Wie kann Liebe bestehen, Familie wachsen, und ist sexuelles Konsumverhalten nicht ein typisches Symptom von Menschen, die materiell alles haben und sich dadurch neue Probleme schaffen müssen? Annie arbeitet als Immobilienmaklerin und lernt dabei Tommy kennen, so schließt sich der weitgehend libidobewegte Kreis der sechs Hauptdarsteller auf der Suche nach Liebe, Begehren und sexueller Abwechslung.

Edward Burns (bekannt aus Spielbergs "Der Soldat James Ryan") agiert hier als Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler (er gibt den Tommy) und Produzent zugleich und liefert eine unterhaltsame Zustandsbeschreibung großstädtischer Intimbeziehungen, kritiklos in der Hauptsache zwar, doch bei weitem weniger ordinär detailreich und affirmativ als die ebenfalls in New York spielenden Sexgeständnisse der sich zwanghaft vergnügenden und mitteilenden Damen aus der TV-Erfolgsserie "Sex and the City" (JF 42/01).

Vermutlich ist das "darüber reden" ohnehin wesentlich das Einzige, was sich im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten am Verhalten geschlechtsreifer Großstädter geändert hat. Vorlieben, Praktiken, Untreue: Magazine, Reportagen und Filme schreien es unaufhörlich heraus; man mag den Kopf schütteln, hingeschaut wird am Ende doch meist.


 
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