© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/02 31. Mai 2002

 
Aufgeteilte Beute
Die tschechische "Neubesiedlung" des Sudetenlandes
Rüdiger Goldmann

In seinem neuen Vortragsband "Heimat und Exil" faßt der Herausgeber Peter Heumos für das Collegium Carolinum mehrere Vorträge zusammen, die vor etwa zehn Jahren gehalten wurden.

Die Arbeit weist für den Leser einige Mängel auf, die der Lektüre, gerade unbedarfter Leser, eher abträglich ist. Man erfährt zum Beispiel kaum etwas über die Verfasser der einzelnen Vorträge. So bleibt einem bei der Vorstellung des Historikers Zdenek Radvanovsky von der Universität Aussig jede weitere Information vorenthalten, die den nicht-tschechisch sprechenden Lesern auch schwer zugänglich ist. Beim Thema "Emigration und Rückwanderung. Vertreibung und Integration in der Geschichte der Tschechoslowakei" verzichtet man auch noch großzügig auf jede Karte, so als wären die böhmisch/mährischen Dörfer jedermann von vornherein bekannt.

Der besonders zu betrachtende Aufsatz Radvanovskys behandelt in seiner Darstellung der "Integrationsprobleme bei der Wiederbesiedlung der deutschen Siedlungsgebiete in den böhmischen Ländern nach 1945" naturgemäß auch die Vertreibung der Sudetendeutschen, die Radvanovsky jedoch beschönigend als "Aussiedlung" oder "Abschub" charakterisiert. Deutlich wird, wie zielgerichtet und technokratisch-grausam die Regierung der "demokratischen" Tschechoslowakei die Annektion und Besitzergreifung der sudetendeutschen Gebiete betrieben hat. Radvanovsky berichtet demnach folgerichtig von "Neusiedlungen" in den "Grenzgebieten". Trotz dieser Wertungen sind seine Ergebnisse überaus aufschlußreich. An der Spitze der tschechischen "Zentralkommission für die innere Besiedlung" stand der für das Massaker von Aussig verantwortliche kommunistische Innenminister Vaclav Nosek. Der Vorsitzende des ausführenden Besiedlungsamtes, Miroslav Kreysa, war zuvor für die Ausarbeitung der Richtlinien ʘr den "Abschub der Deutschen" zuständig.

Die neuen Verwalter sahen sich nach der Vertreibung vor große Plobleme der Verteilung des ungeheuren Besitzes gestellt, die durch politische Eif`Ú^süchteleien erschwert wurden. Allein 461.487 Besitzstände der Sudetendeutschen wurden erfaßt, daruten mehr als 2.200 Industriebetriebe; 34.200 kleingewerbliche Unternehmen, 180.000 Einfamilienhäuser und 120.000 Kraftfahrzeuge mußten verteilt werden. Schließlich setzte sich nach dem kommunistischen Putsch vom Februar 1948 die KPC-Linie der Verstaatlichung der Gewerbe und der Industriebetriebe durch. Von den insgesamt 204.200 konfiszierten Häusern wurden 180.000 an die "Neusiedler" verkauft.

Die Tschechen stellten jedoch bald fest, daß der "gewerbliche Sektor in den böhmischen und mährischen Grenzgebieten 'überdimensioniert' war". Man beschloß daher die Verlagerung der Betriebe nach Innerböhmen oder die Stilllegung. Leider gibt Radvanovsky keine konkrete Zahl der stillgelegten Betriebe an. Das Jahr 1952 wird als Schlußpunkt der Besiedlung betrachtet. Zu diesem Zeitpunkt bewohnten circa 2,3 Millionen Menschen das Sudetenland, darunter 160.000 Slowaken, immerhin eine Million weniger als vor 1945.

Radvanovskys Beitrag gibt einen Einblick in tschechische Problemstellungen. Leider fehlen moralische oder rechtliche Wertungen. Die verbrecherische Dimension der "Siedlungsbewegung" wird an keiner Stelle angesprochen.

Peter Heumos (Hrsg.): Heimat und Exil. Collegium Carolinum, Band 21. Oldenbourg Verlag, München 2001, 278 Seiten, 49,80 Euro


 
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