© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/02 07. Juni 2002

 
Sigmar Gabriel
Harzer Roller
von Christian Vollradt

Außer der gern besungenen Etikettierung "sturmfest und erdverwachsen" zu sein, haftet den Niedersachsen der Ruf einer gewissen mentalitätsbedingten Renitenz an. Bereits vor 1220 Jahren zeigten sie dem großen Frankenkönig Karl, was eine gemeinsame west- und ostfälische Harke ist, indem sie aus dem Hinterhalt eine seiner Heeresabteilungen aufrieben.

Da nimmt es nicht Wunder, daß mit Sigmar Gabriel ausgerechnet der Ministerpräsident des aus diesem Stammesgebiet hervorgegangenen Landes seinen Genossen Generalsekretär wegen des zu schlaffen Wahlkampfauftaktes jüngst kräftig anging. Der Hannoveraner Landeschef - Mitglied des SPD-Bundesvorstandes - monierte in der Presse die mangelnde Hervorhebung des Kanzlers, der ja nebenbei auch Niedersachse ist. Schröder sei "Person und Programm", so der treue Gabriel über seinen Vorgänger.

Wie dieser legte auch Gabriel eine politische Wanderung von ganz links bis in die "Neue Mitte" zurück: Der "Sozialistischen Jugend - Die Falken" schloß sich der 1959 in der alten Silberbergbaustadt Goslar geborene Sigmar bereits mit sechzehn Lenzen an, trat dann in die SPD, die ÖTV und die Arbeiterwohlfahrt ein.

Seit Schröders Wahlsieg in Niedersachsen 1990 gehört auch Gabriel dem Landtag an. Seinen Spitznamen "Harzer Roller" verdankt er indes nicht nur seiner Herkunft, sondern zum einen der gleichnamigen Käsespezialität, die seinem Äußeren nicht unähnlich geformt ist, zum anderen dem ursprünglich so bezeichneten Kanarienvogel, den die Bergleute im Harz einst züchteten. Gleich dem gefiederten Vorbild ist auch für den Landesvater der Schnabel das wichtigste Instrument. Bereits als Chef der SPD-Landtagsfraktion war sein scharfes Mundwerk bei Freund und Feind gefürchtet. Seit er Ministerpräsident ist, bedient er sich dessen allerdings in erster Linie zum Schönfärben seiner mageren Regierungsbilanz. Ende 1999 war seine große Stunde gekommen, als der ewige Schröder-Kronprinz und kurzzeitige Nachfolger Gerhard Glogowski über eine Freibierspende stolperte und damit in puncto Affären das - oder besser: die Maß vollmachte.

Da auch Jung-Sigmar in solchen Dingen kein Kostverächter ist, sollte man ihm manche seiner verbalen Schnellschüsse nachsehen. Der gelernte Pädagoge schlug jüngst vor, an Grundschulen eine Quote für Ausländerkinder zu schaffen und diese "notfalls mit Bussen" in Wohngebiete mit geringerem Anteil an Nichtdeutschen zu verfrachten; vice versa erwartet er von deutschen Eltern die Bereitschaft, ihre Kinder in "Brennpunktschulen" zu schicken. Als wäre "bussing" nicht schon vor vierzig Jahren in den USA gescheitert.

Verständlich übrigens, daß Gabriel einen Baum vor seinem Haus fällen ließ, um Platz für seine Bewachertruppe zu schaffen: Auch in der Brennpunktschule werden ja die vorlauten kleinen Dicken ganz gern verkloppt.


 
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