© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/02 07. Juni 2002

 
Mittelstand in der Kapitalfalle "Basel II"
Finanzpolitik: Im Jahr 2005 sollen in der EU neue Regeln zur Kreditvergabe durch Banken in Kraft treten
Bernd-Thomas Ramb

Die Insolvenzwelle rollt in Deutschland immer heftiger. In diesem Jahr wird mit 40.000 Firmenpleiten gerechnet und überwiegend trifft es dabei die kleinen und mittleren Unternehmen. Der Untergang des Mittelstandes und die damit verbundene Konzentrationswelle bestehen bereits seit mehreren Jahren, da ihre Ursachen zu einem erheblichen Teil in einem verhängnisvollen Strukturwandel zu suchen sind.

So fehlt es den meist familiär ausgerichteten Unternehmen häufig an geeigneten Nachfolgern. Schuldig ist aber auch die Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte, die sich einseitig auf die Großindustrie und die multinationalen Konzerne konzentrierte und den politisch offensichtlich uninteressanten Mittelstand als vernachlässigbare Größe deklarierte.

Beschäftigungspolitische Kalkulationen können es nicht gewesen sein, erweisen sich die kleinen und mittelständischen Betriebe doch als besonders arbeitgeberfreundlicher Wirtschaftsfaktor. Schwer zu schaffen macht dem Mittelstand aber auch die anhaltend schlechte Konjunktur. Mit wechselseitigem Effekt, denn je schlechter es der mittelständischen Wirtschaft geht, um so schwerer ist die konjunkturelle Wende zu erreichen. Auch hier läßt sich die politische Verantwortung für den fehlenden Wirtschaftsaufschwung nicht übersehen, so daß der Mittelstand durch die falsche Wirtschaftspolitik doppelt bestraft wird, direkt durch die mittelstandsfeindlichen Entscheidungen und indirekt durch die konjunktur- und wachstumsfeindlichen Effekte der aktuellen Politik.

Seit kurzem hat sich nun eine dritte Front auf dem mittelstandsfeindlichen Schlachtfeld gebildet, die finanzierungspolitische Firmensituation. Im Zuge von "Basel II", einer internationalen Vereinbarung der Banken zur Reglementierung der Kreditvergabe, wird den traditionell mit geringem Eigenkapital ausgestatteten Mittelständlern zunehmend der Geldhahn zugedreht. Nach einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft besitzen die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in Deutschland Verbindlichkeiten von fast 70 Prozent ihrer Bilanzsumme. Davon sind mehr als ein Drittel Bankkredite. Den 24 Prozent Bankschulden stehen im Durchschnitt 18 Prozent Eigenkapital gegenüber, beides gemessen an der Bilanzsumme.

Im internationalen Vergleich hat nur noch Italien ähnliche Werte. In Frankreich und Spanien, vor allem aber in den USA, ist die Eigenkapitaldecke der KMU mit 34, 41 und 45 Prozent wesentlich größer und die Bankenverschuldung mit 13, 21 und 20 Prozent deutlich niedriger. Die deutschen Mittelständler sammeln im internationalen Vergleich nach den Schweden zwar die höchsten Firmenrückstellungen, 13,4 Prozent der Bilanzsumme. Der Verschuldungsgrad, das Verhältnis von Verbindlichkeiten zum Eigenkapital samt Rückstellungen, bleibt jedoch mit dem Faktor 2,2 internationale Spitze. Nur Italien liegt mit 2,4 höher, während die USA ein nahezu ausgeglichenes Verhältnis zwischen Schulden und Guthaben aufweisen.

Mit der unter der Bezeichnung "Basel II" in eben dieser Schweizer Stadt beschlossenen Neugestaltung der Eigenkapitalvorschriften der Kreditinstitute wird bis zum Jahre 2006 eine Verbesserung des Verhältnisses von Bankkrediten zu Eigenkapital angestrebt. Prinzipiell müssen die Unternehmen künftig um so mehr Eigenkapital vorweisen, je höher das Risiko des Kredits ist. Was für Großunternehmen bereits zum Standard geworden ist, das sogenannte Rating, wird in der nächsten Zeit jede kleine Firma treffen. Dabei erfolgt eine Klassifizierung der Unternehmen zwischen den Extremen "Beste Qualität, geringes Ausfallrisiko, außergewöhnlich gute Bonität" mit der Klassenbezeichnung "AAA" am oberen Skalenende und "Niedrigste Qualität, geringster Anlegerschutz, in Zahlungsverzug oder in direkter Gefahr des Verzugs" und der Bezeichnung "C" am unteren Ende.

Da diese Einschätzungen bei den meisten KMU noch nicht vorliegen, haben einzelne Banken vorerst sicherheitshalber die Notbremse gezogen. Sie vergeben Kredite nur noch bei direkter Absicherung durch Eigenkapital. Wer als Kleinunternehmer noch nicht sein Häuschen verpfändet hat, ist nun dazu gezwungen, wenn er die laufenden Geschäfte aufrecht erhalten will. Oder er muß - und diese Fälle häufen sich immer mehr - Insolvenz anmelden.

Vielfach lassen sich die Banken auch nicht auf das Angebot der Kreditsuchenden ein, höhere Zinsen zu akzeptieren. Demzufolge vergeben die deutschen Banken zur Zeit kaum noch neue Kredite. Die Wachstumsrate des Bankenkreditvolumens hat den niedrigsten Wert seit 20 Jahren angenommen. Andererseits wären Banker nicht Banker, wenn sie sich ein lukratives Geldgeschäft entgehen ließen. Viele Banken gründen daher hauseigene Risiko-Abteilungen (Venture), wie zum Beispiel die HypoVereinsbank mit ihrer "Ad Astra"-Gesellschaft. Sie bedienen als offizielle Nichtbanken die riskanten Kredite ohne die kleinlichen Vorschriften von "Basel II" penibel einhalten zu müssen - natürlich zu entsprechend höheren Zinsen.

Im Endeffekt wird damit das Bankenabkommen unterlaufen, der negative Mittelstandvernichtungseffekt bleibt jedoch bestehen. Denn wer insbesondere als Unternehmensgründer bei diesem Zinsdruck nicht mehr mithalten kann, bleibt auf der Strecke.

Andere Banken, wie der global player Deutsche Bank, benutzen dagegen "Basel II", um sich der ihnen lästigen KMU direkt zu entledigen. Sie setzen voll auf das große Geschäft mit den großen Firmen, deren Ratings bekannt sind. Ob diese Rechnung allerdings aufgeht, bleibt fraglich. Die Banken sind, wenn sie nicht eigene Rating-Abteilungen unterhalten, auf die Einschätzung von Agenturen angewiesen. Die aber können - auch im großen Stil - irren, wie jüngst der dramatische Zusammenbruch des US-Energielieferungsgiganten "Enron" zeigte. Aber auch in Deutschland sind spektakuläre Großpleiten, wie jüngst Holzmann und die Kirch-Holding, nicht unbekannt.

So bleibt das große Fragezeichen, ob die "Basel II"-Vereinbarung letztendlich nicht die Bankensituation verschlimmert, anstatt sie zu verbessern. Schließlich verzichten gerade die Banken vor Ort auf ein nicht zu unterschätzendes Kapital, ihre individuellen Erkenntnisse über die persönliche Kreditwürdigkeit ihnen bekannter Unternehmer. Dieses stille Kapital später wieder einmal zu aktivieren, wird jedoch nicht möglich sein, wenn eben diese Unternehmen durch mechanistische Kreditvergabeparagraphen in die Insolvenz getrieben wurden.


 
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