© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/02 07. Juni 2002

 
Versuchte Demontage
Auf vermintem Gelände: Parallelen zwischen Martin Walser und Botho Strauß
Michael Wiesberg

Ein "Repertoire antisemitischer Klischees" soll der Schriftsteller Martin Walser laut FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher in seinem noch nicht veröffentlichten Roman "Tod eines Kritikers" bieten. "Ich war so angewidert von diesem Buch, daß ich nach der Lektüre nicht einmal mit dem Autor telefonieren konnte", jammerte Schirrmacher in einem Interview mit dem Spiegel.

Der "Antisemitismus", der Walser seit seiner Paulskirchenrede 1998 angedichtet wird, droht mit Schirrmachers Vorgehen zu einem manifesten Urteil zu werden. Was Schirrmacher Walser vorwirft, nämlich daß sein Roman eine "Exekution" sei, droht jetzt Walser. Der FAZ-Herausgeber dürfte sich im klaren darüber sein, welche Konsequenzen der Vorwurf des "Antisemitismus" nach sich ziehen wird. Schließlich stand auch die FAZ im Februar 1997 im Geruch, sich der "Sprache der Nazis" bedient bzw. die "traditionelle Faschistensprache" benutzt zu haben. Was war geschehen? In einem Artikel der FAZ war der damalige britische Außenminister Malcolm Rifkind als "der Jude Rifkind" bezeichnet worden. Grund genug für die britischen Medien und für eine Reihe von britischen Politikern, zu behaupten, die FAZ sei dabei, "die Sprache Hitler-Deutschlands" wiederzubeleben.

Schirrmacher hat aus dieser Affäre ganz offensichtlich gelernt. Jetzt tritt er als Denunziant auf und fällt mit seinem offenen Brief in der FAZ, wie es Eckhard Fuhr in einem Kommentar für die Welt schrieb, ein "soziales Todesurteil".

Die Regeln des Anstandes sehen weder Schirrmacher noch diejenigen, die ihm sekundierend zur Seite gesprungen sind, verletzt. "Elementare Anstandsregeln", erklärte Schirrmacher, seien vielmehr durch "das Buch verletzt worden, auch durch den naiven Versuch, ausgerechnet die FAZ zum Komplizen einer solchen Hinrichtung ihres eigenen Mitarbeiters zu machen". War etwas anderes von Schirrmacher zu erwarten, der in seiner Eloge auf Reich-Ranicki in dem von ihm herausgegebenen Bildband "Marcel Reich-Ranicki. Sein Leben in Bildern" diesen allen Ernstes zum "kritischen Gewissen der heutigen deutschen Literatur" verklärte?

Private Briefe von Strauß unerlaubt veröffentlicht

Die Art und Weise, wie jetzt mit Walser in der öffentlichen Debatte um sein neues Buch verfahren wird, erinnert an den Versuch der Demontage von Botho Strauß in der Zeitschrift Theater heute Anfang 1994. Strauß hatte sein Einverständnis für den Abdruck der ungekürzten Fassung seines heftig diskutierten Essays "Anschwellender Bocksgesang" in dem von den Publizisten Heimo Schwilk und Ulrich Schacht verantworteten Sammelband "Die selbstbewußte Nation" gegeben. Daraufhin wurde Strauß wütend vorgehalten, sich unter Autoren gesellt zu haben, die als dezidiert "rechts" verortet werden.

Theater heute-Redakteur Franz Wille stellte in einem privaten Briefwechsel mit Strauß die Frage, wie dieser in "Die selbstbewußte Nation" geraten sei. Am Ende des Disputs mit Wille bat Strauß, seine beiden Briefe "als Privatsache zu betrachten und daraus nichts zu veröffentlichen". Entgegen dieser Bitte wurde der Briefwechsel im Dezemberheft 1993 von Theater heute dennoch publiziert, wobei ein unmittelbar daneben plazierter Kommentar folgendes Resümée zog: "Er (Strauß, d.V.) bekennt sich ... zu einer Gesellschaft, die nicht mehr die der Leser des Dichters, des Dramatikers B.S. sein kann. ...Vielleicht zieht er sich am eigenen besseren Wissen (oder Wollen) auch wieder selbst empor. Solange nicht, heißt es freilich Abschied nehmen von einem Menschen, mit dem viele ... voller Sympathie gegangen sind."

Nachdem es wegen dieses Vorgehens zu harscher Kritik an der Redaktion kam, bot diese eine Reihe "kritischer Intellektueller" auf, die auf ihre Art und Weise "Abschied von Botho Strauß" nahmen. So konstatierte beispielsweise der Schriftsteller Volker Ludwig, daß der "hochgepriesene Autor" - gemeint war Botho Strauß - in einem "braungesprenkelten Kackhaufen" sitze und auf Nachfrage erklärte, er "fühle sich in eben dieser Pampe ganz wohl". Ludwigs Schriftstellerkollege Maxim Biller drohte damit, daß die "Verletzung von Persönlichkeitsrechten" noch "das mindeste" sei, womit Leute wie Botho Strauß zu rechnen hätten, die in ihren Texten für die "Wiedergeburt einer neuen Rechten" kämpften. Den Rechtsstreit mit Theater heute gewann Strauß im übrigen im Revisionsverfahren. Dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Briefgeheimnis wurden Vorrang gegenüber dem Anspruch öffentlichen Interesses, den der Verlag proklamiert hatte, eingeräumt.

Es gibt aber noch eine Parallele zwischen Strauß und Walser. Wurden die Werke beider Dichter in der Regel von Marcel Reich-Ranicki, dem "krähenden Bescheidwisser der Nation" (Klaus Bellin), eher wohlwollend kritisiert, fielen diese nach dem Versuch ihrer öffentlichen Demontage bei dem Literaturkritiker in Ungnade. Weder einen Roman von Walser noch ein Werk von Botho Strauß wollte dieser schließlich in seinen persönlichen Literaturkanon aufnehmen: "Ich kenne keinen Roman von Martin Walser", dekretierte Reich-Ranicki, "der neben der 'Blechtrommel' (von Günter Grass) oder 'Holzfällen' (von Thomas Bernhard) stehen könnte. Keinen einzigen, tut mir leid."

Von Michael Wiesberg erscheint demnächst in der Edition Antaios das Buch "Botho Strauß - Grenzgänger der Sprache". Informationen dazu im Internet unter www.edition-antaios.de 


 
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