© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
Pro&Contra
Ausländer-Quoten per Schulbus angleichen?
Trugut Hüner / Heidi Kölling

Wir als Türkischer Elternverein in Berlin-Brandenburg wollen unsere Standpunkte über die "Busing-Quotenregelung" darlegen. Eine Quotenregelung von maximal 25 Prozent Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache (SndHS) in einer Klasse, wie es Herr Gabriel vorschlägt, ist nicht machbar. In Berlin wurde die Quotenregelung im Jahre 1995 abgeschafft, da neben Regelklassen reine "Ausländerregelklassen" mit erheblichen Leistungsdefiziten entstanden sind.

Es sollte eine vertretbare Mischung von Kindern deutscher und nichtdeutscher Herkunft (KndHS) in den Schulen auf Dauer erreicht werden. Aber in vielen Großstädten der Bundesrepublik übersteigt der Anteil der KndHS die 25 Prozent. In Berlin-Kreuzberg gibt es beispielsweise Schulen mit bis zu 90 Prozent KndHS. Wenn man von wissenschaftlichen Prognosen ausgeht, daß in 20 bis 30 Jahren in allen Metropolen Deutschlands der Anteil der Nichtdeutschen auf cirka 50 Prozent ansteigt, kommt man mit der Quotenregelung nicht weiter. Daher kann das amerikanische Busing-System, das inzwischen als überholt gilt, zur Lösung unserer Probleme nicht beitragen. Ob deutsche Eltern bereit sind, nach dem Vorschlag von Herrn Gabriel ihre Kinder nach dem Gegenseitigkeitsprinzip in die Schulen der sogenannten Brennpunktbezirke zu schicken, in denen der Anteil der KndHS sehr hoch ist, ist ungewiß. Wenn dies realisierbar wäre, könnte das allein nicht ausreichen, die vielschichtige Problematik zu lösen.

Das Angebot "Deutsch als Zweitsprache" für die SndHS, die keine oder sehr wenige Deutschkenntnisse haben, soll ausgebaut werden. Die Lehrer, die Deutsch als Zweitsprache unterrichten, sollen durch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen unterstützt werden. Ganztagsschulangebote sollen Schritt für Schritt flächendeckend erweitert werden. Insbesondere KndHS sollen in diesen Schulen aufgenommen werden.

 

Trugut Hüner ist Vorsitzender des Türkischen Elternvereins Berlin-Brandenburg e.V. (TEVBB).

 

 

Vor 25 Jahren hat man schon einmal überlegt, ob man durch "Busing" ausländische Kinder gleichmäßiger über alle Bezirke verteilen kann und damit das Problem löst, daß ausländische Kinder zu wenig Deutsch sprechen. Vorab müßte gefragt werden, ob dieses Verfahren erfolgreich wäre - unabhängig von der schwierigen Organisationsfrage. Wir haben auch an unserer Schule Klassen, in denen die Hälfte der Schüler deutsche Kinder sind. Trotzdem haben die Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache relativ geringe Fortschritte in der deutschen Sprache gemacht, denn nach dem Unterricht kehren sie in ihre rein türkische Umgebung zurück. Die Zeit am Vormittag reicht nicht aus, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Nicht umsonst haben wir gerade bei den türkischen Kindern das Gefühl, daß sie wenig Deutsch lernen. Alle anderen Nationalitäten öffnen sich mehr ihrer deutschen Umgebung und damit der Sprache, weil sie - auch in der Schule - gar nicht genügend Partner haben, die gemeinsam mit ihnen in ihrer Muttersprache sprechen. Eine gleichmäßige Verteilung ausländischer Schüler über viele Schulen löst noch nicht das Problem des Spracherwerbs und des besseren Schulerfolgs.

"Busing" wirft ganz neue Probleme auf: Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache werden aus Kreuzberg in andere Bezirke gefahren, und deutsche Kinder werden nach Kreuzberg "verfrachtet". Aber welche Eltern spielen da mit, ausländische wie auch deutsche? Wir haben in der Grundschule die Wohnortnahe Beschulung, die kleine Kinder in ihrem Wohnumfeld beläßt. Deutsche Eltern aus Zehlendorf würden sich bestimmt dagegen wehren, daß ihr Kind nach Kreuzberg gefahren wird. Im Nu gäbe es die ersten Gerichtsverfahren. Schon der Ausgleich in einer Region wie Kreuzberg ist schwierig, weil auch dort Eltern vermeiden, ihre Kinder an bestimmte Schulen zu schicken. "Busing" wird die Probleme der geringen Sprachkompetenz in der Zweitsprache Deutsch nicht lösen.

 

Heidi Kölling ist Direktorin der Niederlausitz-Grundschule in Berlin-Kreuzberg.


 
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