© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
Bürgerliche Kehrtwende
Frankreich: Präsident Chirac und Premier Raffarin erwarten eine Mehrheit in der Nationalversammlung
Charles Brant

Wie erwartet liegt nach der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen die "Uni-on für die Präsidentenmehrheit" (UMP) von Präsident Jacques Chirac in Führung. Zusammen mit der christlich-liberalen "Union für die französische Demokratie" (UDF) von François Bayrou kamen ihre Kandidaten auf 43 Prozent der Stimmen. 56 Bürgerliche und nur zwei Sozialisten erzielten schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit. In der zweiten Runde kommenden Sonntag dürften Chirac und sein Premier Jean-Pierre Raffarin wegen des Mehrheitswahlrechts über 300 der 577 Sitze erobern.

"A droite, toute!" verkündete Le Parisien am Montagmorgen auf ihrer Titelseite: Punkt, Satz und Sieg für die Rechte. Gilt die entschiedene Absage der Franzosen lediglich einer neuerlichen Kohabitation? Diese Frage beschäftigte die Politologen, die sich am Wahlsonntag Gedanken über die Bedeutung dieser Rechtswende machten. Die einen sprachen von einer "Bestätigung durch die Wähler", die anderen meinten, die Wähler haben den schalen Beigeschmack verdrängen wollen, den die Stichwahl zwischen Chirac und Jean-Marie Le Pen hinterließ. Die Wirklichkeit ist weniger kompliziert: Die Franzosen haben - wie schon bei den Kommunalwahlen 2001 - die Linke abgewählt.

Die Sozialistische Partei (PS) erhielt landesweit gerade einmal 27,5 Prozent der Stimmen. Den meisten PS-Kandidaten gelang es nicht, im ersten Durchgang eine absolute Mehrheit zu erringen. Unter denen, die zu einer Stichwahl antreten müssen, befinden sich neben PS-Chef François Hollande Ex-Minister wie Jack Lang, Martine Aubry oder Straßburgs Ex-Bürgermeisterin Catherine Trautmann.

Ihre Hauptverbündeten schnitten noch schlechter ab: Mit durchschnittlich weniger als fünf Prozent der Stimmen ging die Kommunistische Partei (PC) unter. Seit sie bei den Kommunalwahlen viele ihrer traditionellen Hochburgen verlor, steuerte sie unaufhaltsam dem Schiffbruch entgegen. Weder ihrem Vorsitzenden Robert Hue noch ihrem Generalsekretär Marie-George Buffet noch ihrem Fraktionsvorsitzenden Alain Bocquet gelang es, in ihren Wahlkreisen eine absolute Mehrheit zu erreichen. Nach der ersten Wahlrunde ist noch unklar, ob im neuen Parlament - erstmals seit 1945 - überhaupt eine kommunistische Fraktion sitzen wird.

Kaum besser erging es den Grünen. Auch ihr Wahlergebnis lag unter fünf Prozent. Der einzige grüne Kandidat, der sich seines Parlamentssitzes sicher sein kann, ist Noël Mamère. Er erzielte im südwestfranzösischen Bègles mit 38,5 Prozent der Stimmen das beste Ergebnis. Grünen-Chefin Dominique Voynet dürfte hingegen Mühe haben, sich im ostfranzösischen Dole gegen ihren UMP-Gegner durchzusetzen. Einerseits zahlen "Les Verts" die Rechnung für mit den Sozialisten getroffene Wahlvereinbarungen. Zum anderen repräsentieren die Grünen nur mehr einen Bruchteil der Umweltschutzbewegung. Einer ihrer Mitbegründer, der Elsässer Antoine Waechter, der im Wahlkreis Altkirch für seine konservative Unabhängige Ökologiebewegung (MEI) kandidierte, erzielte zwar ein besseres Ergebnis als sein grüner Kontrahent Sébastien Ehret. Er kam aber nicht in die Stichwahl - Jean-Luc Reitzer (UMP-RPR) siegte mit 59,4 Prozent in der ersten Runde.

Das Versprechen, einen gesetzlichen Mindestlohn wiedereinzuführen, mit dem die Sozialisten in den letzten Tagen einen Stimmungsumschlag zu ihren Gunsten erwirken wollten, nützte ihnen gar nichts. Programmlos, unter den Zerstörungen leidend, die ihr die Ära von Präsident Mitterrand und der Regierungsstil Lionel Jospins zufügten, ist die Linke vorerst am Ende. Auch der Linksnationalist Jean-Pierre Chevènement und sein "Pôle républicain" (PR), der diesmal jedes Wahlabkommen mit der Linken abgelehnt hatte, scheiterte mit landesweit unter zwei Prozent. Chevènement muß mit 21,5 Prozent in seiner Hochburg Belfort um seine Wiederwahl zittern. Bei den Präsidentschaftswahlen hatte er noch landesweit über fünf Prozent erzielt und so zur Niederlage des Sozialisten Jospin mit beigetragen. Seine gleichzeitige Opposition gegen die Bürgerlichen wie gegen die einstigen linken Verbündeten zahlte sich beim Wähler nicht aus. Auch das im Vergleich zu den Präsidentschaftswahlen überraschend schlechte Abschneiden der Trotzkisten beweist, wie eindeutig die Wähler der Linken eine Absage erteilt haben. Die Kandidaten des Arbeiterkampfes (LO) und der Revolutionären Kommunistischen Liga (LCR) kamen auf unter drei Prozent.

Altgediente Neogaullisten von Chiracs "Rassemblement pour la République" (RPR) wie Edouard Balladur, François Fillon oder Innenminister Nicolas Sarkozy erreichten hingegen als UMP-Kandidaten schon in der ersten Wahlrunde absolute Mehrheiten - die RPR-"Bimbes-Affären" scheinen vergessen.

Bayrous UDF, die sich im Gegensatz zu Raffarins "Démocratie libérale" (DL) der Sammelpartei UMP nur in einigen Wahlkreisen angeschlossen hatte, brachte es auf landesweit fünf Prozent. Sie könnte im neuen Parlament in Fraktionsstärke vertreten sein. Allerdings dürfte es Bayrou kaum gelingen, den Schiedsrichter zu spielen. Seinen Traum von einer "pluralistischen Mehrheit" - einem rechten Gegenstück zu der "pluralistischen Linken" aus Sozialisten, Kommunisten Grünen und Linksliberalen (PRG), mit der Jospins regierte - wird Bayrou wohl begraben müssen. RPR-Dissident und Ex-Innenminister Charles Pasqua rettete seine rechtsgaullistische "Rassemblement pour la France" (RPF) diesmal unter das Dach von Chiracs UMP. Die RPF hat daher auch Aussicht auf einige Mandate.

Der wegen Le Pen-Kontakten ausgeschlossene DL-Dissident Charles Millon geht in Vaulx-en-Velin (Rhône) mit 22,4 Prozent in die Stichwahl gegen den Sozialisten Jean-Jack Queyranne (38,1). Sensationell siegte Philippe de Villiers in der Vendée: 67 Prozent wählten dort den Chef der rechtskonservativen Monarchistenbewegung MPF.

Und de Villiers könnte bald der einzige "Rechte" im Pariser Parlament sein: Mangels überzeugender Persönlichkeiten fielen Front National (FN) und dessen Abspaltung "Mouvement national républicain" (MNR) auf landesweit unter 13 Prozent zurück. Dieses Ergebnis ist zwar weit von der "Vernichtung" entfernt, die ihr Le Figaro prophezeit hatte. Doch das Mehrheitswahlrecht benachteiligt den FN, so daß er sich höchstens auf vier Sitze Hoffnungen machen kann. Auch die niedrige Wahlbeteiligung von 64 Prozent wirkte sich ungünstig aus. Nur in 38 Wahlkreisen konnten FN- oder MNR-Kandidaten in die zweite Runde einziehen, darunter die 33jährige Le Pen-Tochter Marine mit 24 Prozent in Lens (Pas-de-Calais).

Le Pen, der selbst nicht antrat, hat es gelassen hingenommen und sich über die Ungerechtigkeit des Mehrheitswahlrechtes ausgelassen, das zu einer Bipolarisierung führe. Mehrere FN-Kandidaten treten am 16. Juni in Marseille an, pikant wird die Stichwahl im Bezirk 3, wo weder die PS (17,9) noch die UMP (16,6) eine Chance hatten: Hier tritt FN-Kandidat Jean-Pierre Baumann (24,4 Prozent) gegen den Kommunisten Frédéric Dutoit (25,8 Prozent) an.

Bruno Mégrets MNR hat es noch härter getroffen. Mégret selbst konnte in seinem Wahlkreis Marignane (Bouches-du-Rhone) mit 18,6 Prozent die zweite Runde nicht erreichen. Nach der Pleite bei den Präsidentschaftswahlen dürfte das Projekt MNR am Ende sein.


 
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