© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Moskauer Analysen
Carl Gustaf Ströhm

Die "Verschwörungstheorien", um die Terroranschläge vom 11. September 2001 erhalten jetzt "Verstärkung" aus Moskau. Zwei führende russische Experten, von denen zumindest einer bisher im politisch-geheimdienstlichen Bereich eine wichtige Rolle spielte, bezweifeln offen, daß die Terroranschläge von New York und Washington durch Osama bin Laden verübt oder veranlaßt wurden.

Leonid Iwaschow, Generaloberst und Vizepräsident der Moskauer "Akademie für globale Probleme" und Juri Michailowitsch Osipow, Direktor des "Zentrums für Gesellschaftswissenschaften" der Staatlichen Moskauer Lomonossow-Universität, sind der Auffassung, daß ganz andere Kräfte hinter den Anschlägen stecken: Hinter den Kulissen habe zwischen zwei mächtigen Gruppen im Westen ein Kampf um die Weltherrschaft begonnen.

Generaloberst Iwaschow, der bis vor einem Jahr stellvertretender Verteidigungsminister für internationale Verbindungen war und wegen seiner antiglobalistischen und US-kritischen Haltung durch Staatspräsident Wladimir Putin abgesetzt wurde, definiert die Situation folgendermaßen: Eine der beiden Kräfte, die um die Weltherrschaft kämpfen, seien die Administration von US-Präsident George W. Bush und deren Hintermänner. Die zweite Gruppe sei eine "transnationale Oligarchie". Während die Kräfte, die Bush zum Wahlsieg verhalfen, der Meinung sind, daß die USA als Staat an der Spitze der Welt stehen müßten und die multi-nationalen Konzerne und Kräfte der US-Politik zu gehorchen hätten, sei - so der russische Generaloberst - die zweite Gruppe überzeugt, daß die Welt von den internationalen Finanzstrukturen und den multinationalen Wirtschaftskräften geführt werden müßte. Die USA als Staat hätte hier allenfalls die Rolle eines "Bulldozers" zu spielen, welcher der neuen Weltherrschaft den Weg freizumachen habe.

Iwaschow ist überzeugt, daß der 11. September 2001 die "Antwort" dieser transnationalen Kräfte auf den Wahlsieg der Bush-Leute war. "Daß der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon aufgehört hat, dem amtlichen Washington zu gehorchen, beweist, daß er in der anderen Mannschaft mitspielt und daß er Rückhalt bei einer Kraft findet, die ebenso mächtig ist wie der Präsident der USA", sagte Iwaschow.

Der zweite Prominente Russe, Professor Osipow, behauptet, die "wissenschaftliche und ideologische Logistik" werde den transnationalen Kräften durch so geheimnisumwitterte exklusive Institutionen wie den 1954 gegründeten "Bilderberg Club" und die daraus hervorgegangene (um Japan erweiterte) "Trilaterale Kommission" zur Verfügung gestellt. Für diese Kräfte sei die politische Macht nur eine, wenn auch "teure", Ware.

Iwaschow und Osipow sagen beide voraus, daß das 21. Jahrhundert weitaus chaotischer und blutiger verlaufen werde als das zwanzigste. Die "Welt-Elite hinter den Kulissen" wolle sich für den Kampf mit der explosiven Bevölkerungsvermehrung rüsten - das aber sei nur möglich durch "Schaffung einer einheitlichen, hierarchischen Gesellschaft." Unter der Parole des "Kampfes gegen den Terrorismus" wolle sie die Energiereserven weltweit unter ihre Kontrolle bringen.

Das sind phantastische Thesen - aber sie zeigen zumindest eines: Putin sitzt nicht so fest im Sattel, wie manche glauben. Denn wenn diese Prämissen stimmen sollten, wäre Putins Amerika-Politik falsch. Ob sie aber stimmen - das steht auf einem anderen Blatt.


 
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