© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
Das große Kritikersterben
Wie Martin Walser hat auch Bodo Kirchhoff eine Parodie auf Marcel Reich-Ranicki und den Literaturbetrieb geschrieben
Richard Stoltz

Nachahmung oder Duplizität der Ereignisse? Der Schriftsteller Bodo Kirchhoff (wahrhaft kein unbegabter Autor) hat, genau wie Martin Walser, einen Roman über die Ermordung eines televisionären Großkritikers geschrieben. Als Vorbild für diesen Großkritiker diente ihm ebenfalls Marcel Reich-Ranicki. Das Buch sollte im September erscheinen, wurde jetzt aber, genau wie der Roman Walsers, vorgezogen und kommt nun bereits Anfang Juli heraus. Auch Kirchhoff rechnet mit öffentlichen Verurteilungen wegen mangelnder political correctness.

Gravierender Unterschied zu Walsers "Tod eines Kritikers": Bei Kirchhoff wird der Kritiker - wenn auch nicht gezielt - tatsächlich ermordet. Aber die beiden sofort verdächtigten Großschriftsteller, in denen man angeblich unschwer Martin Walser und Günter Grass erkennen könne, sind gänzlich unschuldig. In Wirklichkeit handelt es sich um die Tat eines Berufskillers im Auftrag der Mafia.

Doch erst eine Zusatzpointe macht den Fall richtig pikant: Kirchhoffs Buch wird von der Frankfurter Verlagsanstalt herausgebracht, die dem Sohn des Suhrkamp-Besitzers und Walser-Verlegers Siegfried Unseld, Joachim Unseld, gehört. Joachim Unseld hält auch 20 Prozent der Suhrkamp-Anteile, ist mit seinem Vater jedoch überworfen und von der Leitung des väterlichen Verlages ausgeschlossen. So rätselt die Branche, ob der Kirchhoff-Roman von Unseld junior nicht als Verhohnepipelung des väterlichen Geschäfts und als Knallfrosch gedacht war, dem mit der Denunziation Walsers durch den FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher die Luft herausgelassen wurde.

Jedenfalls ist die Affäre Walser/Schirrmacher/Unseld jetzt selber zur Parodie geworden, mit Schicksalseinlagen à la Famillie Schroffenstein bzw. Denver-Clan. Der "Antisemitismus-Streit" löst sich auf in einen Fernsehkrimi dritter Klasse. Und all das hat mit seinen Fernsehgrimassen der Großkritiker MRR bewirkt. 


 
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