© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
Nationaler Masochismus
Doris Neujahr

Der Berliner Wirtschaftssenator und PDS-Politiker Gregor Gysi hat in einem Aufsatz für die Berliner Zeitung "eine nationale, intellektuelle Debatte über die Rolle Berlins als Hauptstadt" gefordert. Gysi verfolgt damit drei Ziele: Erstens will er in der Pose des Vordenkers den Glanz zurückgewinnen, der ihm als glückloser Landesminister abhanden gekommen ist. Zweitens verbannt er mit dem Anspruch auf geistige Führung seinen anspruchslosen Vorgesetzten, den Regierenden "Bruder Leichtfuß" Klaus Wowereit (SPD), in die zweite Reihe. Drittens schließlich barmt er um nationale Solidarität für die verarmte Hauptstadt.

Dabei wird der Pragmatiker Gysi durch den PDS-Ideologen zu Fall gebracht. Er schreibt völlig richtig, man müsse sich "die Frage stellen, warum vielen Deutschen die in ihren Nachbarländern so selbstverständliche Identifizierung mit ihrer Hauptstadt so schwer fällt", ohne allerdings zu merken, daß er selber den Grund dafür liefert, wenn er als einziges Identifikationsangebot die Errichtung und den Unterhalt von "Denk- und Mahnmälern" offeriert. So fragt Gysi: "Waren Bayern oder Schleswig-Holstein weniger am Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust beteiligt und können sie deshalb die finanziellen Folgelasten Berlin überlassen?"

Man sieht sie freudig herbeieilen, die Bayern und Schleswig-Holsteiner, um endlich ihr Scherflein beizutragen zur Monumentalisierung "unserer Schande" (Martin Walser). Indes: Nationaler Masochismus und eine prosperierende Hauptstadt schließen sich aus. Weil die PDS das nie begreifen wird, ist sie als Regierungspartei völlig ungeeignet.


 
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