© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/02 14. Juni 2002

 
Schattierungen zwischen Braun und Rot
Eine Dokumentation zur Zeitschrift "Aufbruch" aus den frühen dreißiger Jahren des Nationalbolschewisten Richard Scheringer
Karlheinz Weissmann

Der Name Richard Scheringer dürfte heute kaum noch jemandem bekannt sein, obwohl es sich um eine Person der Zeitgeschichte handelt, die zwar keine Haupt-, aber doch eine aufschlußreiche Nebenrolle in den letzten Jahren der Weimarer Republik gespielt hat.

Scheringer gehörte nämlich zu den "Ulmer Reichswehroffizieren", jenen drei jungen Männern, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die Armee der Weimarer Republik nationalsozialistisch zu infiltrieren und für die "Deutsche Revolution" vorzubereiten. Nach Entdeckung ihrer Zelle vor Gericht gestellt, wurde Scheringer zusammen mit seinen Freunden Hanns Ludin und Hans Friedrich Wendt wegen Hochverrats angeklagt. Die NSDAP nutzte das Geschehen propagandistisch aus, sah sich allerdings vor einem Dilemma: Scheringer und seine Mitverschwörer hatten nach eigenem Bekunden einen gewaltsamen Umsturz geplant, eine Idee, die der nationalsozialistischen Führung nicht unsympathisch war, aber seit dem gescheiterten Putsch von 1923 undurchführbar schien.

Infolgedessen kam es zu jenem berühmten "Legalitätseid", mit dem Hitler vor dem Staatsgerichtshof erklärte, die Macht auf legalem Wege erobern zu wollen. Die Enttäuschung unter den Angeklagten war denkbar groß, aber nur Scheringer weigerte sich, die durchsichtigen taktischen Begründungen, die ihm Goebbels zur Erklärung anbot, ganz zurückzuweisen und verließ die NS-Bewegung. Unter dem Eindruck von Gesprächen mit kommunistischen Häftlingen erklärte er im März 1931 seinen Übertritt zur KPD. Dieser Schritt wirkt aus der Perspektive der Gegenwart überraschend, besaß damals aber eine gewisse Plausibilität. Als wesentliches Motiv seines politischen Handelns hat Scheringer in seinen Lebenserinnerungen die Fixierung auf das Schlüsseljahr "1813" angegeben: die mehr oder weniger romantische Idee, die Bedrückung im Inneren (damals die Rheinbundfürsten, jetzt die "Erfüllungspolitiker") und von außen (damals Napoleon, jetzt die Ententemächte) mit einem Volksaufstand unter Rückendeckung Rußlands zu beseitigen.

Dieses Konzept hätte nicht unbedingt in die Reihen der kommunistischen Partei führen müssen, denn die sogenannten Nationalbolschewisten, etwa der Kreis um Ernst Niekisch und der "linke Flügel" der NSDAP, die "Schwarze Front" Otto Strassers, vertraten ganz ähnliche Vorstellungen, aber ihnen allen fehlte, was Scheringer, der auf Praxis drängte, wichtig war: die Massenbasis. Die bot die KPD, allerdings um den Preis einer rigiden Parteidisziplin. Es mußte deshalb von Anfang an klar sein, daß Scheringers Mitwirkung in ihren Reihen nur möglich sein würde, wenn er sich den Vorgaben der Führung unterwarf. Die war zwar seit der "Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes" vom August 1930 darauf aus, Teile der nationalistischen Jugend, der Bauern und des Mittelstands an sich zu ziehen, aber irgendein Vorrang gegenüber dem Projekt einer proletarischen Revolution wurde der nationalen Revolution keinesfalls zugebilligt. Das merkt man auch dem Inhalt der jetzt in einem vollständigen Reprint erschienenen, als Original praktisch verschollenen Zeitschrift "Aufbruch im Sinne des Leutnants a. D. Scheringer" sehr deutlich an. Die Zeitschrift sollte helfen, den inhaftierten Schweringer zur Symbolfigur eines neuen "nationalen Kommunismus" zu machen. Der Mitarbeiterkreis umfaßte deshalb neben KPD-Mitgliedern (darunter die Reichstagsabgeordneten Hans Kippenberger und Theodor Neubauer, außerdem zahlreiche Mitarbeiter des Militärpolitischen Apparates unter Pseudonym) auch Dissidenten aus der NSDAP (darunter die Herausgeber Wilhelm Korn, der mit Strasser die Partei verlassen hatte, und Josef "Beppo" Römer, der als Führer des Freikorps Oberland den Marsch auf die Feldherrnhalle mitgemacht, sich dann aber früh von Hitler getrennt hatte).

Trotzdem wurde der Kurs des zwischen 1931 und 1933 in zwölf Ausgaben erscheinenden Blattes zuletzt immer von der kommunistischen Parteiräson diktiert. Das hieß im konkreten Fall, daß die unter den Nationalrevolutionären verbreitete Idee von einer Konvergenz der radikalen Massenbewegungen hier gerade nicht verfochten wurde. Die KP-Führung wollte lediglich das Wähler- und Anhängerpotential der NSDAP zu sich herüberziehen und verstand die nationale Agitation als taktisches Mittel, um diesen Zweck zu erreichen. Für sie war, das ist auch dem "Aufbruch" deutlich zu entnehmen, der "Faschismus" immer der Hauptfeind und "Agent" des Kapitals, den man - am besten zusammen mit der Republik - vernichten wollte. In dem Maße, in dem sich die nationalistischen Dissidenten bereit fanden, diese Sprachregelung zu übernehmen, verloren sie natürlich an Glaubwürdigkeit gegenüber ehemaligen Weggefährten, die ihrerseits den Attentismus der NSDAP mit Mißfallen beobachteten und unter Umständen dem nationalbolschewistischen Pfad gefolgt wären. Daß der nirgendwohin führte, zeigte sich aber spätestens im Januar 1933 mit Hitlers Machterlangung.

Trotzdem hat Peter Steinbach in seinem Vorwort Respekt für den "Aufbruch"-Kreis gefordert und die "Authentizität" seines Wollens hervorgehoben. In einer Zeit, in der schon vergessen zu sein scheint, welche außerordentliche Belastung der Versailller Vertrag für das Deutschland der Zwischenkriegszeit war und welchen Krisen sich die Republik ausgesetzt sah, bedarf es auch solcher - vorbildlichen - Editionen, um bestimmte, wenngleich irritierende Aspekte der Vergangenheit zu erinnern, die zu einem vollständigen Bild unserer Geschichte gehören.

Fototext: Richard Scheringer vor dem Leipziger Reichsgericht während des Hochverratsprozesses 1932: Absicht einer "Deutschen Revolution"

 Susanne Römer und Hans Coppi (Hrsg.): "Aufbruch". Dokumentation einer Zeitschrift zwischen den Fronten. Verlag Dietmar Fölbach, Koblenz 2002, 384 Seiten, kartoniert, 38 Euro


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen