© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Selbstfindung
Karl Heinzen

Die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon konnten die USA, wie sich unterdessen herausgestellt hat, weder politisch noch ökonomisch noch gar militärisch schwächen. Insofern haben die Attentäter und ihre Hintermänner und -frauen nicht mehr erreicht, als ein Zeichen zu setzen. Dieses wiederum ist von der amerikanischen Öffentlichkeit sehr wohl verstanden worden. Sie hat sich ein Herz gefaßt und eingefahrene Gleise der Selbst- und der Weltbetrachtung verlassen. Ein neuer Realismus nimmt Normen in den internationalen Beziehungen nicht mehr unkritisch hin, sondern prüft sie auf ihren Tatsachencharakter. Die Amerikaner sind es leid, daß ihre Politiker der den USA nach dem Ende des Kalten Krieges zukommenden Bedeutung noch länger bloß verschämt und unter tausend Ausflüchten gerecht werden. Sie nehmen die Verantwortung, die ihnen ihre exzeptionelle Macht aufbürdet, an.

Das Ergebnis ist eine leidenschaftliche Offenherzigkeit in der Erörterung der weltpolitischen Probleme, wie man sie zumindest seit der Entkolonialisierung, eigentlich sogar seit dem Ende des Faschismus nicht mehr kannte. Die Diskriminierung zwischen Menschen, die aufgrund ihres zivilisatorischen Standards einer Verteidigung für wert befunden werden und Populationen, die Opfer erbringen müssen, um sich diese Anerkennung für ihre Nachkommen erst noch zu verdienen, wird wieder als legitim und hilfreich empfunden. Die Menschenrechte müssen wirksam vor ihrem Mißbrauch geschützt werden. Ihre Universalität darf kein Freibrief für Bestrebungen sein, die sich gegen ihre materielle Grundlage richten. Das Recht auf Eigentum sollten nicht ausgerechnet die Habenichtse unseres Planeten als Grundlage ihrer Ansprüche an das Leben ausgeben.

George Bush II. hat die neuerliche Selbstfindung der Amerikaner in praktische Politik zurückübersetzt. Die USA können kein Staat wie jeder andere sein, da sie die Freiheit zu ihrer Sache gemacht haben. Sie nehmen das Ziel der Menschheitsentwicklung nicht bloß als Vorbote vorweg, sondern stehen schon in der Kontinuität dessen, was da kommen wird. Kompromisse mit der Unfreiheit können daher nicht eingegangen werden, ohne in Widerspruch zu sich selbst zu treten. Diskussionen darüber, wer die Unfreiheit wohl verkörpern möge, sind so unnötig wie destruktiv. Es gibt objektive Kriterien, diese Frage zu entscheiden. Der Unfreiheit ist verschrieben, wer sich gegen die USA stellt. Das mögen dann zwar im Einzelfall Formaldemokratien sein, aber die Wähler können sich eben irren, auch und gerade, was die eigenen wahren Interessen betrifft.

Vor Irrtum sind natürlich die Intellektuellen nicht minder gefeit. Sie sollten daher ganz genau ihre Worte wägen, wenn sie über amerikanische Entscheidungsprozesse, in denen sie gar nicht gefragt sind, räsonnieren. Die Zukunft ist nicht so ungewiß, wie sie oft dargestellt wird. Niemandem ist es unmöglich, sich schon heute auf die richtige Seite zu stellen.


 
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