© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
"Die Welle bricht"

Der abgesetzte Landesbeauftragte Dieter Mückenberger über den Streit in der Schill-Partei um den Antritt zur Bundestagswahl
Moritz Schwarz

Herr Mückenberger, der Bundesvorstand der Partei Rechtsstaatlicher Offensive hat Sie als Landesbeauftragten für Nordrhein-Westfalen zusammen mit den Landesbeauftragten für Niedersachsen und Thüringen, Hans-Joachim Selenz und Martin Moderegger, quasi über Nacht abgesetzt. Warum?

Mückenberger: Das frage ich mich auch. Unsere Absetzung ist hinter unserem Rücken erfolgt und wurde mir erstmals per Mobiltelefon durch einen Beauftragten mitgeteilt. Dann las ich in der Presse davon, und drei Tage später erhielten Herr Selenz, Herr Moderegger und ich ein Fax-Rundschreiben, das uns schriftlich davon in Kenntnis setzte.

Keiner aus dem Bundesvorstand hat das persönliche Gespräch mit Ihnen gesucht?

Mückenberger: Nein.

Sind Sie menschlich enttäuscht?

Mückenberger: Das kann man nur sein, wenn man auch einen zwischenmenschlichen Anspruch gehabt hat.

Das heißt, Sie haben von Ronald Schill persönlich nicht viel gehalten?

Mückenberger: Ich möchte das zunächst ganz allgemein verstanden wissen. Was ich zu einzelnen Personen zu sagen habe, werde ich am kommenden Samstag in Hamburg bei der Wiederholung des seinerzeit nicht beschlußfähigen Bundesparteitages vom 11. Mai zur Sprache bringen. Aber ich verhehle nicht, daß ich das bisherige Verfahren in dieser Angelegenheit für würdelos halte.

Schürt solches Verhalten nicht die Unsicherheit in der Partei?

Mückenberger: Natürlich.

Sie waren als Landesbeauftragter für Nordrhein-Westfalen zusammen mit dem NRW-Landeskoordinator und Bundesvorstandsmitglied Rolf Rutter mit dem Aufbau der Partei Rechtsstaatlicher Offensive in Ihrem Bundesland betraut.

Mückenberger: Ich habe vor Ort, also von Düsseldorf aus, den Aufbau der Partei geleitet, und Herr Rutter hat mich von Hamburg aus für den Bundesvorstand betraut. Zu Beginn meiner Tätigkeit hatte die Schill-Partei in Nordrhein-Westfalen etwa 400, bei meiner Absetzung etwa 1.100 Mitglieder, und der Landesverband war so weit aufgebaut, daß für den 2. Juni ein Landesparteitag anberaumt werden konnte und die Räume im Düsseldorfer Hilton festangemietet waren. Wegen Verzugs beim Bearbeiten von Aufnahmeanträgen in Hamburg mußte er abgeblasen werden.

Parteichef Ronald Schill hat Ihre Entlassung damit begründet, man habe zu Ihnen dreien "nicht mehr das nötige Vertrauen" gehabt. Sie hätten angeblich ein Papier unterstützt, demzufolge geplant war, den Bundesvorstand abzusetzen.

Mückenberger: Es gibt eine eidesstattliche Versicherung von Rechtsanwalt Martin Moderegger, dem Verfasser dieses sogenannten "Masterplans", nach der ich von diesem Papier nichts gewußt habe.

Ist der Plan Ihres Kollegen Moderegger ein Konzept für einen Putsch, wie der Bundesvorstand behauptet?

Mückenberger: Nein, es ging wohl um ein Konzept mit Bezug zu den Bundestagswahlen und einer bundesweiten Ausdehnung.

Moderegger hat seine Kritik auf die Person Schills fokussiert: Kritik an Schill werde gleich als Majestätsbeleidigung geahndet.

Mückenberger: Ich glaube nicht, daß Ronald Schill über die Details aller Geschehnisse in der Partei informiert ist. Für meine Begriffe sind die Bundesvorstandsmitglieder Mario Mettbach und Dirk Nockemann im wesentlichen verantwortlich. Ich gehe davon aus, daß diese beiden Herren Schill die jüngsten Entwicklungen vorgetragen haben und seine Sicht der Dinge auf diesem Vortrag beruht.

Das heißt, Schill hat nicht den Überblick über das, was in der Partei läuft?

Mückenberger: Das weiß ich nicht, ich möchte eine mögliche Kritik nicht an der Person Ronald Schills festmachen. Er ist eines von fünf Mitgliedern des geschäftsführenden Bundesvorstandes - und der Bundesvorstand, nicht er alleine, trifft die Entscheidungen.

Aber er ist der Parteichef.

Mückenberger: Ronald Schill ist geistiger Vater, Namensgeber, Initiator und Mitbegründer der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und auch ihr Bundesvorsitzender. Aber die Partei ist eine demokratische Partei und gehört deshalb allen Mitgliedern, und Herr Schill ist ein normales, wenn auch wichtiges Mitglied der Partei. In den Medien heißt es immer "Schill, Schill", tatsächlich aber hat Schill keine Richtlinienkompetenz wie ein Bundeskanzler, sondern diese Direktivmacht liegt beim Bundesparteitag. Die mehrheitlich gefaßten Beschlüsse des Souveräns haben alle Mitglieder zu respektieren.

Der Bundesparteitag hat Sie aber nicht entlassen. Wer übt zwischen den Parteitagen die Macht aus: Schill oder Mettbach und Nockemann?

Mückenberger: Die Mehrheit im Bundesvorstand entscheidet, nicht einzelne Personen. Mettbach und Nockemann sind wohl die am besten informierten Mitglieder des Bundesvorstandes und deshalb sehr wichtig. Schill ist Innensenator in Hamburg und muß die Partei als Bundesvorsitzender nach außen vertreten.

Werden Sie gegen Ihre Absetzung vorgehen?

Mückenberger: Es wird voraussichtlich einen Antrag aus Baden-Württemberg geben, der meine Wiedereinsetzung fordert. Man wird sehen.

Ihr Kollege Hans-Joachim Selenz hat die Konsequenzen gezogen und die Partei verlassen.

Mückenberger: Ich halte das aus der Sicht des Herrn Selenz für konsequent, denn er steht auf dem Standpunkt, die Mitgliedschaft in einer Partei ist nur soviel wert, wie man in ihr umsetzen kann. Allerdings halte ich diese Einstellung auch für weniger politisch als meine Entscheidung, denn nur wenn ich in der Partei bleibe und weiterkämpfe, kann ich irgendwann einmal überhaupt etwas umsetzen. Ich bedauere die Entscheidung von Hans-Joachim Selenz sehr, denn er war fraglos eine der profiliertesten Persönlichkeiten in unserer Partei.

Konkret geht es doch um den Konflikt, ob die Schill-Partei an der kommenden Bundestagswahl im September teilnehmen soll, wie das zum Beispiel Selenz, Moderegger und Sie favorisiert haben, oder nicht, wie vor allem die Hamburger Parteiführer meinen. Entwickelt sich entlang dieser Frontlinie ein Machtkampf in der Partei?

Mückenberger: Natürlich ist das momentan ein wichtiger Punkt. Aber ich will keinen parteischädlichen Machtkampf, sondern ich habe mich mit meinem Antrag zum Sprecher einer - wie ich meine - Mehrheitsmeinung in der Partei gemacht. Da es aber auch in anderen Bundesländern Anhänger eines Verzichts auf einen Antritt in Herbst gibt, würde ich die Position der Gegner einer Beteiligung an der Bundestagswahl nicht auf die Hamburger Parteiführung reduzieren.

In Hamburg hat man bereits eine Bürgerschaftsfraktion und stellt drei Senatoren. Ist es nicht natürlich, daß man dort die Situation daran mißt, was man bereits erreicht hat und was man nicht riskieren möchte, während in den neuen Landesverbänden ein Hunger nach politischer Herausforderung besteht?

Mückenberger: Ich möchte das so nicht polarisieren. Das Problem ist, daß nicht erkannt wird, daß wir eine große historische Chance haben: Die Partei hat das Glück, sich noch rechtzeitig vor den Bundestagswahlen etabliert zu haben, und die Umfragewerte prophezeien uns gute Aussichten.

Die Partei hat aber noch keine tragfähige bundesweite Struktur ausgebildet, die Voraussetzung für einen Erfolg bei der Bundestagswahl ist.

Mückenberger: Da gibt es keine Probleme, die nicht bis zum 22. September gelöst werden könnten.

Das sehen manche anders. Und wollen lieber in vier Jahren wohlgerüstet in die Schlacht ziehen.

Mückenberger: In vier Jahren ist die Schill-Partei möglicherweise beim Wähler gar nicht mehr gefragt. Wir haben in Hamburg und Sachsen-Anhalt tolle Ergebnisse erzielt. Natürlich haben wir das große Ziel, in den Magdeburger Landtag einzuziehen, verfehlt, aber abgesehen davon sind 4,5 Prozent aus dem Stand doch ein beeindruckender Erfolg. Die Schill-Partei ist jetzt gefragt. Wähler überall in Deutschland hoffen auf uns und wollen uns am 22. September als ihre Alternative auf dem Wahlzettel stehen sehen. Wenn wir diesen Sympathiebonus nicht nutzen, wird die Dynamik nachlassen, und wer weiß, was dann in vier Jahren übrig ist. Abgesehen davon wird ein Verzicht auf die Bundestagswahl auch die Ausgangssituation für eine Beteiligung an den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern - ebenfalls am 22. September -, Niedersachsen und Hessen - beide 2003 - wesentlich und negativ beeinträchtigen. Und sollten nicht wenigstens diese drei Wahlen für uns positiv verlaufen, dann wird die Schill-Partei in vier Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach nur noch eine Randnotiz der Zeitgeschichte sein.

Allerdings ist das Gegenargument nicht von der Hand zu weisen: Jede Stimme für Schill, die nicht ins Parlament gelangt, ist eine Stimme, die dem bürgerlichen Lager fehlt.

Mückenberger: Das ist der Streit darum, ob das Glas noch halb voll oder schon halb leer ist. Wer garantiert, ob das bürgerliche Lager nicht nach dem 22. September die Stimmen der Schill-Partei braucht, um Rot-Grün abzulösen oder vielleicht Rot-Gelb zu verhindern? Es ist durchaus möglich, daß Stoiber am Ende nur durch die Schill-Partei Bundeskanzler werden kann. Im übrigen wird eine liberal-konservative Schill-Partei für die Union auf Dauer sicher ein verläßlicherer Partner sein als die Partei der Beliebigkeit, die FDP.

Scheitert die Schill-Partei aber, könnte genau das Rot-Grün das Überleben ermöglichen.

Mückenberger: Die Bürger haben für solch taktische Überlegungen kein Verständnis. Man muß das Schill-Phänomen als eine Bewegung begreifen, die vorwärtsdrängt. Manche haben von der Schill-Partei die Vorstellung, es handle sich um ein Unternehmen, das man nur Schritt für Schritt ausbauen müsse. Dieses Bild verfehlt aber den Charakter des Phänomens. Wenn man diese Bewegung jetzt bremst, läuft man Gefahr, daß die Welle bricht.

Das heißt, die Wahl mit Improvisation statt mit Professionalität anzugehen - ein gefundenes Fressen für Ihre Gegner.

Mückenberger: Nach meinen Erlebnissen an der Basis glaube ich, daß amateurhaftes Verhalten - in gewissen Grenzen - bei den Menschen sogar Sympathie bewirkt, weil es sich vom reinen Machtkalkül der anderen Parteien abhebt. Denken Sie an die Grünen: deren Amateurhaftigkeit hat ihnen in allen Lagern Sympathien eingebracht, und sie haben sich mitnichten als nicht politikfähig oder sogar regierungsfähig erwiesen. Es muß uns klar sein, daß wir Fehler machen dürfen - nur einen nicht, nämlich nicht zu den Bundestagswahlen anzutreten.

Sie wollen die Etablierten herausfordern, während von seiten Schills ständig von einer Rücksichtnahme auf die Union die Rede ist. Ist Schill zu harmoniebedürftig gegenüber den etablierten bürgerlichen Parteien?

Mückenberger: Jetzt reduzieren Sie schon wieder alles auf Schill. Der Kurs der Partei wird nicht von Ronald Schill alleine bestimmt, sondern von der Mehrheitsmeinung der Mitglieder bestimmt.

Dennoch halten Sie diese ausufernde Rücksichtnahme für falsch?

Mückenberger: Jede Partei hat ihre eigene Seele, und sie sollte versuchen, als eigenständige Größe, nicht als mehrheitsbeschaffendes Anhängsel, Politik zu machen - die Politik, die sie für die bessere im Land hält. Dieser Anspruch, bloß Wegbereiter für andere zu sein, zeugt in der Tat von einem merkwürdigen parteilichen Eigenverständnis.

Wird es also angesichts dieser Unterschiede zu einem Machtkampf auf dem Hamburger Bundesparteitag kommen?

Mückenberger: Es wird zu keinem Machtkampf kommen. Es bleibt dabei: Der Bundesparteitag fällt den empfehlenden Beschluß, den alle Mitglieder respektieren sollten.

Und dem geht gemeinhin ein Machtkampf voraus.

Mückenberger: Nein, ein Machtkampf ist kontraproduktiv.

Die Gegner einer Wahlbeteiligung finden ihre Anhänger vor allem im Hamburger Landesverband. Der Bundesparteitag wird in Hamburg veranstaltet. Besteht nicht die Gefahr, daß durch diesen Heimvorteil für Hamburger Parteimitglieder ein Beschluß gegen die deutschlandweite Mehrheit für eine Beteiligung gefaßt wird?

Mückenberger: Der Parteitag ist aus "parteihistorischen" Gründen in Hamburg, und es ist richtig, daß die Partei dort die größte Anzahl an Mitgliedern hat. In der Tat könnten die Gegner einer Beteiligung dadurch eine entsprechende Mehrheit herbeiführen. Diese stünde dann tatsächlich im Widerspruch zur Mehrheit in den Ländern. Dennoch muß ein demokratischer Beschluß respektiert werden.

Das heißt, Sie stünden auch nach einem solchen Beschluß noch zur Verfügung.

Mückenberger: Ja.

Ist für Sie die Partei Rechtsstaalicher Offensive ohne Ronald Barnabas Schill denkbar?

Mückenberger: Es wäre sehr schlimm für die Partei, wenn Schill sie verlassen würde. Aber die Partei Rechtsstaatlicher Offensive ist, wie gesagt, nicht die Partei des Ronald Schill, sondern die Partei der etwa sechstausend Mitglieder. Und ich glaube, daß darunter auch genügend kompetente Persönlichkeiten sind, um Schill in seinen Funktionen einmal zu ersetzen. Alles andere wäre schließlich ein Armutszeugnis. Ich bin aber sicher, daß die Partei auch nach dem Bundesparteitag fest hinter Schill stehen wird. Aber der Parteitag ist auch dazu da, Kritik deutlich zu machen und das werde auch ich tun - denn dort gehört Kritik hin. Da kann dann auch ein Parteivorsitzender keine Rücksicht erwarten. Wer aber die Kontroverse nicht vertragen kann, der sollte dem Parteitag lieber fernbleiben und statt dessen Blümchen pflücken gehen.

 

Dieter Mückenberger geboren 1938 in Königsberg/Ostpreußen. Der gelernte Industriekaufmann war Marketing-Manager eines großen deutschen Elektronikkonzerns, bevor er selbständiger Unternehmer in Düsseldorf wurde. 1997 gründete das ehemalige CDU-Mitglied

mit anderen Selbständigen die Deutsche Mittelstandspartei (DMP), deren erster Bundesvorsitzender er wurde. Im Februar 2002 wechselte er zur Partei Rechtsstaatlicher Offensive und wurde deren Landesbeauftragter für Nordrhein-Westfalen. Der Parteivorstand setzte ihn allerdings zusammen mit den Landesbeauftragten für Niedersachsen und Thüringen am 27. Mai wegen angeblicher Aktivitäten zum Sturz des Bundesvorstandes ab.

 

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