© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
Der Wille zur Macht schweißt zusammen
Parteien I: Auf ihrem Bundesparteitag präsentierte sich die CDU siegesgewiß / Kohl meldet sich zurück / Stoiber setzt aufs Mannschaftsspiel
Paul Rosen

Wenn Angela Merkel, Helmut Kohl und Edmund Stoiber einträchtig zusammensitzen, dann stimmt etwas nicht, oder es ist Wahlkampf. Da wir inzwischen in die Hochphase des Bundestagswahlkampfes übergehen, diente dieses schöne Bild vom Frankfurter CDU-Bundesparteitag nur dazu, Eintracht, Aufbruchstimmung, Siegeswillen usw. zu demonstrieren. Knapp 100 Tage vor der Bundestagswahl am 22. September und mit einem professionell durchgezogenen Parteitag steht die Union wirklich gut da. Die Frage ist nur, ob das nach der Wahl auch noch so sein wird, selbst wenn die Christenunion gewinnt.

Doch zunächst nach Frankfurt: Es war klar, daß Sachdiskussionen dort erst gar nicht geführt werden mußten. Änderungsanträge zum Wahlprogramm gab es nicht. So sahen 1001 Delegierte ganz großzügig darüber hinweg, daß das Programm im Bereich Steuern und Familien Versprechungen vorsieht, die unfinanzierbar erscheinen. So glänzt die Union mit der Ankündigung, den Eingangssteuersatz unter 15 Prozent senken und den Spitzensteuersatz unter 40 drücken zu wollen. Das Familiengeld pro Kind soll in der Endstufe 600 Euro pro Monat betragen. Die Sozialabgaben sollen ebenfalls gesenkt werden, so daß die durchschnittliche Belastung wieder weniger als 40 Prozent des Bruttoeinkommens eines Arbeitnehmers beträgt. Auch die Staatsquote am Bruttosozialprodukt soll wieder unter 40 Prozent sinken.

Stoiber brachte diese Kernaussagen seines Programms auf die schöne Formel "3 x 40". Nur die Antwort, welche Steuererhöhungen dafür kommen sollen, welche Steuervergünstigungen wegfallen, wieviel die Renten gekürzt und die Leistungen der Krankenkassen weiter eingeschränkt werden sollen, gab er nicht. Selbst nach einer gewonnenen Bundestagswahl werden die Bürger sich noch eine Zeit gedulden müssen: Ehe der Großangriff auf die Geldbörsen startet, soll am 2. Februar 2003 in Hessen und Niedersachsen noch mit einem ruhigen Gefühl CDU gewählt werden können. Erst danach käme die neue Regierung mit der Wahrheit ans Licht.

Bei aller Kritik hält der Frankfurter CDU-Parteitag dennoch keinem Vergleich mit dem Leipziger SPD-Parteitag 1998 stand, bei dem der heutige Kanzler Gerhard Schröder offiziell auf den Schild gehoben wurde. Leipzig war eine einzigartige Show mit Lichtern, Fanfarenklängen und modernster Bühnendekoration. Und mitten drin war Superstar Gerhard Schröder, der allerdings mit dem Verteilen seiner zehn Garantien im Scheckkartenformat einen Fehler machte: Man kann den Niedersachsen heute beim Wort nehmen und leicht feststellen, daß er seine Versprechen nicht eingehalten hat. Zentralster Punkt ist die Arbeitslosigkeit, deren Rückführung nicht einmal ansatzweise gelang. Da führt sich die CDU schon solider auf.

Mit dem Auftritt des inzwischen knorrig gewordenen Kohl gab die CDU ihrer Wählerschaft ein Zeichen, daß die Brüche mit der eigenen Geschichte, wenn auch mühsam, gekittet worden sind. Die Spendenaffäre ist kein CDU-Thema mehr, sondern wurde an die SPD weitergereicht. Drei rheinische Sozialdemokraten sitzen wegen Korruptionsverdacht im Gefängnis, wo Kohl nie war. Frau Merkel herrscht noch uneingeschränkt über die CDU. Kohls Auftritt anläßlich des Jahrestages des Volksaufstandes in Mitteldeutschland am 17. Juni 1953 dokumentiere, daß die CDU keine geschichtslose Partei, sondern sich ihrer Wurzeln bewußt sei, sagte die CDU-Chefin.

Stoiber ist der unumstrittene Kanzlerkandidat. Der Bayer, dem die meisten Umfragen noch einen Wahlsieg zusammen mit der FDP voraussagen, stellte das Versagen der Regierung Schröder in den Mittelpunkt seiner umjubelten Ausführungen. Das ist auch das größte Geschütz, das der CSU-Chef auffahren kann: Schröder vermeidet am liebsten alle Bilanzen seiner vierjährigen Regierungszeit mit den Grünen, weil es in den meisten Bereichen nichts, in anderen nur wenig zu bilanzieren gibt. Aufrechte Sozialdemokraten vom linken Rand der SPD hatten auf einer Veranstaltung am Rande des Berliner SPD-Parteitages ganz in Stoibers Sinn gesprochen, als sie die Defizite der SPD auf ihrem ureigenen Feld der sozialen Gerechtigkeit anprangerten.

In der Tat ist es dem traditionellen SPD-Wähler an der Ruhr nur schlecht zu vermitteln, daß Großkonzerne keinen Cent Steuern mehr bezahlen, wenn sie Firmenanteile verkaufen, deren Erwerbskosten Jahre zuvor noch steuermildernd geltend gemacht wurden. Und es war auch kein Ruhmesblatt der So-zialdemokraten, den Sparern die Freibeträge zu halbieren, während Großaktionäre die Hälfte ihrer Dividenden in Zukunft steuerfrei kassieren dürfen (Halbeinkünfteverfahren). Da konnte sich Stoiber, der diese Punkte genußvoll ausbreitete, der Zustimmung der Delegierten sicher sein. Schröders Kabinett hält Stoiber darüber hinaus auch eher für einen Punkt, der für die Union spricht. Eigentlich haben nur zwei Schröder-Minister (Joschka Fischer und Otto Schily) einen guten Ruf, der Rest ist so gut wie unbekannt. Die Chance, mit einer Kabinettsumbildung noch frischen Wind in die Berliner Regierung zu bringen, hat Schröder verpaßt. Nun ist es zu spät.

Dagegen brachte Stoiber zum Ausdruck, daß er nicht alles zur Chefsache machen, sondern sich auf seine Kompetenzmannschaft verlassen will, die er sehr zum Ärger von Schröder derzeit in homöopathischen Dosen wöchentlich in Berlin vorstellt. Mit dem Jenoptik-Chef Lothar Späth und Ex-CDU-Chef Wolfgang Schäuble hat der Bayer zwei besonders populäre Persönlichkeiten gewinnen können. Schäubles Verwicklung in die Spendenaffäre ist bereits Geschichte. Der solide Mannschaftskämpfer Stoiber gegen das Einzelkämpfer-Showtalent Schröder: Das Rennen könnte der Bayer gewinnen.

Ein Wahlsieg wäre die letzte Chance für die CDU, nicht sofort den Weg anderer christdemokratischer Parteien in Europa zu gehen und der Zersplitterung anheimzufallen. Der Wille zur Macht schweißt zusammen. Bei einer Niederlage von Stoiber würde dieser sich nach Bayern zurückziehen. In der CDU würden unweigerlich Diadochenkämpfe zwiscvhen Merkel, Merz, Koch & Co. ausbrechen. Schaden täten neue bürgerliche Parteien nicht. In den Nachbarländern Deutschlands haben solche Konstellationen in jüngster Zeit eindrucksvolle Wahlsiege errungen - nach dem Motto von Franz Josef Strauß: Getrennt marschieren und dann vereint schlagen.


 
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