© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
Kolumne
Totalitär gleich
Klaus Motschman

In unseren Medien erscheinen in zunehmendem Maße Meldungen, bei denen man auf den ersten Blick nicht sicher ist, ob es sich um absurde Einzelfälle handelt oder um zuverlässige Indizien für den in vollem Gange befindlichen "Mentalitätswandel" im multikulturellen Europa. Dazu nur zwei Beispiele aus allerjüngster Zeit:

In England hat ein Arbeitsamt die Annahme eines Stellenangebotes abgelehnt, mit dem ein Restaurant "freundliches" Bedienungspersonal suchte. Begründung: Damit würden Bewerber diskriminiert, die über diese Veranlagung nicht verfügen. Das ist richtig. Chancengleichheit läßt sich eben am schnellsten durch Einebnung aller individuellen Unterschiede, aller charakterlichen und intellektuellen Differenzierungen durch Absenkung bisher üblicher Mindeststandards erreichen - allerdings nicht auf Dauer halten.

In Schweden hatte ein Hauswirt entsprechende Probleme mit der Aufgabe einer Wohnungsanzeige in einer Zeitung, mit der ein "christlicher" Mieter für seine Wohnung gesucht werden sollte. Begründung auch hier: Damit würden nicht-christliche Interessen benachteiligt. Auch das ist richtig. Derartige "Benachteiligungen" wird es nach allen Erfahrungen in Geschichte und Gegenwart und in allen Gesellschaftssystemen allerdings immer geben. Alle Versuche, unterschiedlich motivierte Gleichheitsdogmen aller religiösen und ideologischen Utopien zu verwirklichen, sind bislang am Wesen des Menschen gescheitert - auch in dem sozialistischen Musterland Jugoslawien.

Milovan Djilas, einer der führenden Ideologen dieses Landes nach 1945 und eine der Leitfiguren der europäischen Linken, hat die Gründe dafür in zwei weit verbreiteten Büchern beschrieben: "Die Neue Klasse" (1958) und "Anatomie einer Moral" (1959). Einen wesentlichen Grund für Benachteiligungen und Diskriminierungen machte Djilas im Verhältnis vieler Genossen zum "schönen Geschlecht, die Häßlichen eingeschlossen" aus, um an eine problembewußte Äußerung von Karl Marx anzuknüpfen.

Wenn die europäischen Länder darangehen, gemäß bestimmter EU-Richtlinien bis zum Jahr 2003 alle möglichen Diskriminierungen und Benachteiligungen unter Strafe zu stellen, dann läßt sich damit ganz gewiß eine weitgehende Kollektivierung des Verhaltens und des Bewußtseins erreichen, aber nicht eine dauerhafte Lösung des vorgegebenen Zieles. Deshalb stellt sich erneut die alte Frage: Weshalb nehmen unsere Ideologen die Erfahrungen der Geschichte auch in dieser Hinsicht nicht zur Kenntnis? Vielleicht wegen einiger angehobener Zeigefinger und Augenbrauen?

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.


 
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