© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
Das Kreuz mit den Akten
DDR-Vergangenheit: Kaum noch Hoffnung auf Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
Detlef Kühn

Auf unsere "politische Klasse" ist Verlaß. Wer wie diese Zeitung (JF 12/02) vermutet hatte, der Bundestag werde nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen Helmut Kohl nicht mehr die Kraft zu einer Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes finden, die eine Fortsetzung der bisherigen Praxis der Gauck/Birthler-Behörde und damit eine Herausgabe von Akten über Personen der Zeitgeschichte an Wissenschaftler und Journalisten erlaubt, kann sich bald freuen, wieder einmal recht gehabt zu haben.

Zwar hat die SPD-Fraktion noch rechtzeitig einen Gesetzentwurf vorgelegt, der der Birthler-Behörde einen gewissen Ermessensspielraum bei Akten von Personen der Zeitgeschichte einräumt, und die Grünen sind sowieso dafür, den ominösen Halbsatz aus dem Paragraph 32 zu streichen, wonach Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte nur dann zur Verfügung gestellt werden dürfen, "soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind". Auf diesen Passus gründete sich auch der juristische Erfolg Kohls. Aber Frau Birthlers Vorgesetzter, Bundesinnenminister Schily (SPD), ist gegen den Gesetzentwurf seiner eigenen Fraktion. Zwischen Schily und Fraktionschef Peter Struck soll es sogar zu einer lautstarken Auseinandersetzung gekommen sein.

Und die Opposition, vertreten durch CDU/CSU und FDP, die die Regierungsfraktionen eigentlich "einbinden" wollten, kann sich überhaupt nicht entscheiden. Der FDP scheint das Problem die Sprache verschlagen zu haben. Die Union hatte schon Ende April eine Anhörung von Sachverständigen im Innenausschuß des Bundestags durchgesetzt. Zwölf Fachleute - Datenschützer, Archivare, Historiker, Juristen, Vertreter der Presse und nicht zuletzt Stasi-Opfer - wurden befragt. Nur zwei von ihnen waren mit der durch das Bundesverwaltungsgericht geschaffenen Situation zufrieden. Alle anderen befürworteten eine schnelle und umfassende Novellierung des Gesetzes im Sinne der bisherigen Praxis. Das enttäuschte vor allem die Union. Sie steht unter besonderem Druck ihres Altkanzlers Kohl, der in einem Brief an die Parteivorsitzende Merkel und Fraktionschef Merz erneute rechtliche Schritte angedroht hat, falls es zu einer Gesetzreform kommen sollte. Nun brachte die CDU/CSU einen neuen Antrag auf Anhörung von weiteren Experten ein - es muß doch möglich sein, mehr Leute zu finden, die Bedenken haben! SPD und Grüne betrachten das - naheliegend - als Obstruktion.

Dennoch möchten sich die Koalitionsfraktionen über das Minderheitenrecht der CDU auf eine Anhörung nicht hinwegsetzen. Somit ist sichergestellt, daß die Gesetzesnovelle regulär nicht mehr fristgemäß die letzte Sitzung des Bundesrates vor der Sommerpause erreichen kann. Dieser muß zwar nicht zustimmen, hat aber immerhin theoretisch ein Einspruchsrecht. Ob der von der Union dominierte Bundesrat geneigt ist, ausgerechnet in diesem Fall einer Fristverkürzung zuzustimmen, ist angeblich noch nicht erkundet worden. Wenn nicht, wird mit der Neuwahl des Bundestages am 22. September auch diese wie alle anderen Initiativen der laufenden Legislaturperiode automatisch hinfällig.

Nach der Wahl müssen dann erst einmal Posten verteilt und die vielen parlamentarischen Neulinge eingearbeitet werden. Das kann leicht ein oder zwei Jahre dauern. In der Zwischenzeit kann die Birthler-Behörde einen wesentlichen Teil ihrer Aufgaben, nämlich zur Erforschung der Zeitgeschichte beizutragen, nicht erfüllen. Aber das ist auch gut so, wird sich mancher in der Union - und nicht nur dort - sagen.

 

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn


 
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