© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/02 28. Juni 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Disziplinierung
Karl Heinzen

Die Zwei-Drittel-Gesellschaft, über die vor noch gar nicht so langer Zeit geunkt wurde, ist uns erspart geblieben. Der soziale Frieden ist und bleibt ein Standortfaktor, der zwar kein Kapital, aber immerhin doch Arbeit ins Land lockt. Die Beschäftigten haben durch ein Jahrzehnt der Zurückhaltung in ihren Lohnforderungen zu erkennen gegeben, daß sie den Druck effizienter und globalisierter Finanzmärkte auf die Unternehmen, mit ihrem Gewinn bestimmte Erwartungen nicht zu unterschreiten, verstehen und als Naturgewalt akzeptieren. Die Oberschicht wiederum hat sich so weit abgesetzt, daß sie kaum noch als bedrückend empfunden wird. Innovative Entlohnungsmodelle für Manager sorgten nicht nur für Motivationsschübe bei den Begünstigten, sondern zugleich für Sonderkonjunkturen in Branchen, deren Wohl und Wehe von der Konsumfreude jener, die sich wirklich etwas leisten können, abhängt. Arm und reich begegnen sich wahrnehmbar eigentlich nur im Straßenverkehr oder auf der Basis eines Vertrages zwischen Dienstherr und Dienstbote. Ansonsten sind die Lebenswelten so säuberlich getrennt, daß Indiskretionen über die Prominenz unter den oberen Zehntausend nicht den Neid der Bevölkerung wecken, sondern ihre aufrichtige Neugier befriedigen.

Und doch ist nicht alles eitel Sonnenschein in unserem Land. Probleme bereiten zwar nicht die Menschen, die arbeiten, oder gar jene, für die gearbeitet wird. Es gibt aber einfach zu viele, die weder aus Vermögen noch aus Berufstätigkeit Einkommen beziehen. Da ihr Manko in der Regel vom Staat ausgeglichen werden muß, erscheint es in Zeiten, in denen man das knappe Geld eigentlich viel lieber für ganz andere Zwecke ausgeben würde, als lohnenswert, sich über sie Gedanken zu machen. Dieser Aufgabe hat sich dankenswerterweise die nach dem Arbeitsdirektor der Volkswagen AG benannte Hartz-Kommission angenommen, die die Bundesregierung aus Experten ihres Vertrauens geformt hat. Die an die Öffentlichkeit gedrungenen Vorschläge lassen erkennen, daß es am festen Willen, die Auslegung des Sozialstaates nicht den Arbeitslosen und sonstigen Habenichtsen zu überlassen, keineswegs mangelt. Der Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt, der für Manager längst aufgehoben wurde, muß auch am unteren Ende der Einkommenspyramide in Frage gestellt werden. Die Entscheidung darüber, was Arbeitnehmern zugemutet und von Arbeitslosen daher nicht ausgeschlagen werden darf, kann nicht die Politik, sondern nur die Wirtschaft kompetent treffen. Die Kürzung und eine rigidere zeitliche Limitierung von Sozialleistungen mögen zwar in der Tat wenig dazu beitragen, das Angebot an Arbeitsplätzen auszuweiten. Sie verhelfen aber den Betroffenen zu der Einsicht, daß eine Erwerbstätigkeit letztlich durch nichts aufgewogen werden kann. Die Hartz-Kommission wird den Nutzen der Massenarbeitslosigkeit für das Funktionieren der Marktwirtschaft nicht verkennen: Eine Minderheit ist betroffen. Aber alle sind diszipliniert.


 
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