© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/02 28. Juni 2002

 
Ende der infantilen Manipulation
Niederlande: Verschärfte Ausländergesetze / Mitte-Rechts-Koalitions kommt / Erfolg der Liste Pim Fortuyn
Jerker Spits

In den Niederlanden wird seit dem sensationellen Wahlerfolg der Partei von Pim Fortuyn auffallend offen über zuvor kaum angesprochene Themen diskutiert. "Adieu Nederland - warum immer mehr Niederländer auswandern", titelte das Haager Nachrichtenmagazin HP/De Tijd in ihrer letzten Ausgabe. Im letzten Jahr verließen etwa 80.000 meist junge und gut ausgebildete Niederländer ihre Heimat, aus Unzufriedenheit über immer mehr Streß, Staus - und Ausländer. Immer mehr Berichte über rechtswidrige Praktiken islamischer Verbände sorgen für Schlagzeilen. Selbst der ehemalige Minister für Integrationsfragen, Rogier van Boxtel, von der linksliberalen Partei D'66, sprach in der letzten Woche von "diesen Vollidioten aus den Moscheen". "Extremisten kaufen Moscheen", titelte die Amsterdamer Tageszeitung Trouw in ihrer letzten Samstag-Ausgabe. "Die Zeit der infantilen Manipulation" (durch die linken "Multikulturalisten" und Befürworter der Immigration) sei vorbei, stellte der bekannte Kolumnist Sylvain Ephimenco am gleichen Tag fest. "Wir leben im Jahre 2002 und sind erwachsen".

Daher überrascht es nicht, daß die Niederlande jetzt eines der strengsten Ausländergesetze in der EU bekommen sollen. Darauf haben sich der Christdemokratische Appell (CDA), die Liste Pim Fortuyn (LPF) und die Rechtsliberalen (VVD), die seit Mitte Mai Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung führen, verständigt. Geplant ist, daß Einwanderer künftig selbst für ihre Immigration und Integration zahlen müssen. Zuwanderer, die sich bereits in den Niederlanden aufhalten und weiteren Familiennachzug planen, müssen über ein Jahreseinkommen von mindestens 19.000 Euro verfügen. Für Wirtschaftsflüchtlinge soll zukünftig kein Platz mehr sein. Außerdem werden die Aufnahmebedingungen für Kinder ab zwölf Jahren verschärft. Jugendliche ab 16 Jahren sollen kein Recht mehr haben, ihren Eltern zu folgen. Eine neue Behörde wird sich der Abschiebung der schätzungsweise 115.000 illegalen und abgelehnten Asylanten widmen. Auch Militärflugzeuge können nun zum Heimtransport von illegalen Ausländern eingesetzt werden.

Es ist offensichtlich, daß diese neuen Maßnahmen im wesentlichen auf den Einfluß der LPF zurückzuführen sind, auch wenn CDA und VVD in ihren letzten Wahlprogrammen härtere Maßnahmen gegen die illegale Einwanderung angekündigt hatten. Die Angst vor Überfremdung und vor unkontrollierbar gewordenen Flüchtlingsströmen hatte der erstmals angetretenen LPF bei den Parlamentswahlen vom 15. Mai Massen von Wählern zugetrieben, sie wurde mit 17 Prozent zweitstärkste Partei. Der Spitzenkandidat Pim Fortuyn, der am 6. Mai von einem Linksextremisten ermordet wurde, war im Wahlkampf mit dem Slogan "Die Niederlande sind voll" aufgetreten. Gefragt nach dem Einfluß der LPF auf das neue Gesetz sprach Ex-Finanzminister Gerrit Zalm, der auch die Koalitionsverhandlungen für seine Partei VVD führt, von einer "Erleichterung". Zalm wies auf die Bemühungen seiner Parteikollegen Joop Wijn und Henk Kamp hin, die in den letzten Jahren in der "violetten" Koalition mit der sozialdemokratischen PvdA und der linksliberalen D'66 vergeblich für eine Verschärfung der Immigrationspolitik plädiert hatten. Die nur unzureichend gelungene Integration der schon in den Niederlanden lebenden Ausländer und die Angst vor Überfremdung in der Bevölkerung machten härtere Maßnahmen notwendig, so Zalm. Die linke Opposition, die nach dem für sie verheerenden Wahlausgang ihre Wunden leckt, kündigte indessen kräftigen Widerstand an. Grünen-Chef Paul Rosenmöller erklärte, die neue Regierung setze "die niederländische Tradition von Gastfreundlichkeit und Toleranz aufs Spiel". Auch belgische Politiker - vor zwei Jahren lautstark beim Österreich-Boykott dabei - reagierten ebenfalls mit Unverständnis auf die neuen Maßnahmen des nördlichen Nachbarlandes.

Das neue Einwanderungsgesetz bildet einen wichtigen Teil der Absprachen zwischen CDA, LPF und VVD. Das strengere Asyl- und Immigrationsgesetz sowie größere Befugnisse für Polizei und Justiz sollen der Bevölkerung ein besseres Sicherheitsgefühl vermitteln. Nachdem die Fraktionschefs der drei Parteien - Balkenende, Zalm und LPF-Chef Mat Herben - sich schon zuvor auf eine gemeinsame Position zu Fragen der Kranken- und Erwerbsunfähigkeitsversicherung verständigt hatten, mit der die hohe Zahl von nicht arbeitenden Menschen reduziert werden soll - das Land zählt mit seinen rund sechzehn Millionen Einwohnern fast eine Million Menschen, die wegen eines psychischen oder physischen Leidens Unterstützung erhalten -, gilt ein Mitte-Rechts-Kabinett als sicher.

CDA-Chef Jan Peter Balkenende, der dann das Amt des Ministerpräsidenten bekleiden wird, sprach letzte Woche erstmals von einem "Durchbruch" in den Verhandlungen. Es gebe nun keine großen Streitpunkte mehr. Da zum Zeitpunkt dieser Einigung in wichtigen Sachfragen Käse-Schinken-Toasts (niederländisch: "tosti's) serviert wurden, spricht man in Den Haag vom "tosti-akkoord" der künftigen Regierungsparteien.

Nur ein Konflikt über die Verantwortung an dem Mord an Pim Fortuyn sorgte während den Koalitionsverhandlungen für Unstimmigkeit. Die LPF hatte im Parlament einen Mißtrauensantrag gegen den Innenminister Klaas de Vries (PvdA) eingeleitet, weil der für die Sicherheit Fortuyns verantwortlich gewesen sei. Die LPF wollte damit verhindern, daß ein zukünftiger Minister für den Mord an Fortuyn verantwortlich gemacht werde. Der Antrag bekam im Parlament keine Mehrheit. Unter großem Druck der Öffentlichkeit arbeitet ein Untersuchungsausschuß unter der Leitung des ehemaligen Richters Harry van den Haak (73) seit einem Monat an der Klärung der Verantwortung. Die Kommission, die hauptsächlich aus Polizeichefs und Kriminologen besteht, fängt in dieser Woche mit der Befragung verschiedener Politiker an. Auch sind Gespräche mit der Familie Pim Fortuyns, mit Sicherheitsexperten und verschiedenen Behörden geplant. Die Ergebnisse werden erst gegen Ende des Sommers erwartet.

Die Niederlande sind nicht das einzige Land, das seine Einwanderungsgesetze verschärft hat. Auch Dänemark, Italien und Spanien haben im Alleingang ihre Ausländerpolitik schärfer geregelt. Spaniens Premier José María Aznar, der beim EU-Gipfel in Sevilla die Einwanderung ganz oben auf die Agenda gesetzt hatte, feilt innenpolitisch bereits an der dritten Ausländerrechtsnovelle, die den Familiennachzug erschweren und Legalisierungskampagnen unterbinden soll. Auch in Italien erhalten Immigranten aus nicht-EU-Ländern nur eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie über einen Arbeitsplatz verfügen. Das dänische Parlament hat im Juni ein neues Ausländergesetz ("Udlændingelov") verabschiedet, das besagt, daß Immigranten erst nach sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.

Die dänische Staatsbürgerschaft erhält zukünftig nur, wer seit neun Jahren in Dänemark lebt, eine Prüfung in Sprache, Kultur und Geschichte bestanden hat und seinen Respekt vor dem dänischen Grundgesetz bezeugt - alles Regelungen, die selbst dem CSU-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber viel zu weit gehen, vom potentiellen Koalitionspartner FDP ganz zu schweigen.

 

Fototext: LPF-Spitzenkandidaten Mat Herben (M.) und João Varela (r.): Erfolg mit dem Wahlkampfspruch "Die Niederlande sind voll"


 
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