© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/02 28. Juni 2002

 
Ansichten von vorgestern
Die Berichterstattung der "Welt" über eine Totenehrung der Opfer des 17. Juni offenbart den Gesinnungsverlust im Hause Springer
Moritz Schwarz

Zeit seines Lebens hat sich der Verleger Axel Cäsar Springer für die deutsche Einheit engagiert. Seine Blätter sollten nicht nur Journalismus betreiben, sondern auch den politischen Kampf für die Wiedervereinigung der geteilten Nation führen. Das hindert seine Nachfolger allerdings nicht daran, dieses Vermächtnis Stück für Stück preiszugeben - spätestens seit dem Amtsantritt von Matthias Döpfner Anfang dieses Jahres ist die Umwertung aller Werte im Hause Springer endgültig vollzogen.

So beschränkte sich die diesjährige Berichterstattung der Welt anläßlich der Totenehrung der Opfer des 17. Juni auf dem Berliner Friedhof Seestraße auf eine kleine zweispaltige Agenturmeldung. In der schlampig redigierten Meldung ("anwesend war Bundespräsident Thierse") "informierte" die Welt ihre Leser darüber, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, mitfühlende Worte am Grabe der gefallenen "17er" gesprochen hatte. Tatsächlich aber war er überhaupt nicht dagewesen (JF 26/02) und hatte die anwesenden Veteranen nicht nur mit der Abwesenheit des Berliner Stadtoberhauptes - das erste Mal seit beinahe einem halben Jahrhundert - offen brüskiert, sondern es nicht einmal für nötig befunden, sich von seiner Vertreterin entschuldigen zu lassen.

Auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT in der Hauptstadtredaktion der Welt nach den Gründen dieser Art Berichterstattung hieß es lapidar: "Wir haben zu wenig Mitarbeiter für solche Termine." Und abschätzig mit leicht genervter Stimme: "Solche Ansichten von vorgestern entsprechen seit der Übernahme der Leitung durch Herrn Döpfner längst nicht mehr der Politik des Hauses." Sprach's und verabschiedete sich in den Redaktionsalltag einer Zeitung, die auf der Jagd nach Auflage ihre Gesinnung verloren hat.


 
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