© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   28/02 05. Juli 2002


Deutschlands Pädagogen besorgt: Nach dem PISA-Debakel der Patriotismus-Schock / Jetzt muß der Verfassungsschutz handeln
Trittin! Schröder! Stoiber! Alle verrückt geworden!
(JF)

Frankfurt am Main/Berlin. Ist das noch zu fassen? Die deutsche Fußballmannschaft verlor das WM-Endspiel im japanischen Yokohama 2:0 gegen Brasilien, und trotz der Niederlage feierten zehntausende begeisterte, überwiegend junge Menschen ihre "Helden". Die Innenstadt der Mainmetropole ertrank in flatternden schwarz-rot-goldenen Fahnen.

Nun fragen sich verunsichert Pädagogen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), ob auch dieser besorgniserregende, eindeutig nationalistische Überschwang auf die durch die PISA-Studie nachgewiesene schlechte Bildungssituation in Deutschland zurückzuführen ist?

Hatte man nicht jahrzehntelang in zigtausend Schulstunden Energien darauf verwendet, den Schülern unselige, überholte nationale Gefühle und eine unkritische Haltung gegenüber dem eigenen Volk abzuerziehen? Kommt nach dem PISA-Debakel nun der Patriotismus-Schock?

Unfaßbar und nicht entschuldbar ist es jedenfalls, daß allen Beteuerungen eines vermeintlichen "Aufstandes der Anständigen" zum Trotz Politiker aller Parteien, neben Kanzler Schröder und Unions-Kanzlerkandidat Stoiber sogar Spitzen der Grünen (Trittin! Fischer! Roth!) und der PDS (Gysi! Zimmer!) der sogenannten "National"-Mannschaft nachweislich zugejubelt haben!

Was soll man als kritischer Pädagoge denn künftig einem aufmüpfigen Schüler sagen, der womöglich ein positives Verhältnis zur deutschen Geschichte und zum eigenen Nationalgefühl signalisiert?

Warum gibt es überhaupt noch eine "deutsche" "National"-Mannschaft? Im Zuge der Einen Welt ist es doch ein Anachronismus, wenn 22 Männer nach dem pathetischen, bedrohlichen Absingen ihrer Nationalhymnen einem runden Leder hinterherjagen und Millionen Anhänger in nationale Verzückung geraten.

In jedem Fall ist nun erhöhte Wachsamkeit geboten. Eine Länderkonferenz der Innenminister sollte die vorsorgliche Beobachtung deutscher Fußball-Fanklubs wegen "tatsächlicher Anhaltspunkte für den Verdacht auf nationalistische Bestrebungen" prüfen.

Denkbar wäre auch der gezielte Einsatz von V-Leuten, um an sachdienliche Hinweise auf Rädelsführer zu gelangen. Parteipolitiker der demokratischen Mitte, die sich im Überschwang zu übermäßigen nationalen Äußerungen ("Deutschland, Deutschland!") haben hinreißen lassen, sollten sich umgehend vor der Weltöffentlichkeit hierfür entschuldigen. Die Kirchen und die Arbeitgeber sind nun gefragt. Und warum schweigt Schröder?

 

Fototext: Ein Mädchen mit tröstendem Plakat für Rudi Völler: Fatal - schon werden Kinder wieder nationalistisch indoktriniert. Nach der PISA-Studie werden sich nun die Bildungsminister mit den Ursachen dieses plötzlich aufkeimenden neuen nationalen Selbstbewußtseins beschäftigen müssen.

Fototext: Rudi Völler, dem Teamchef der deutschen Nationalmannschaft, huldigen Tausende von Fans vor der historischen Kulisse des Frankfurter Römer: Unkritisch umjubelt wie ein Volkstribun. Eine offene Debatte um das überhebliche 8:0 gegen Saudi-Arabien wurde unterdrückt.


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