© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/02 05. Juli 2002

 
Konzessionen auf Kosten der Mehrheit
Rumänien: Eine Kommission des Europarates inspizierte die Lage der Roma / Weltfremde Vorschläge von "Experten"
Ivan Denes

Die Clinton-Ära und die Zeit der political correctness in den USA hat auch in Europa einige seltsame Blüten getragen. Unter dem Schlagwort "Multikultur" haben sich Institutionen etabliert, deren Sinn über den wohlklingenden Titel hinaus schwer verständlich wirkt. Eine dieser Behörden setzt sich aus Experten aller Mitgliedstaaten des Straßburger Europarates zusammen: die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI).

Hauptaufgabe der ECRI sind regelmäßige "Länderberichte". Einige ECRI-Mitglieder fahren dazu für drei bis vier Tage in den zu "überprüfenden" Staat, sprechen mit Vertretern der Regierung, der ethnischen Minderheiten und einigen Nichtregierungsorganisationen (NGO) und erstellen danach einen Bericht über die dortige Lage, bzw. über die Maßnahmen, die im jeweiligen Land zur Förderung von "Toleranz und Gleichheit" eingeleitet wurden.

Der kürzlich veröffentlichte zweite Bericht der ECRI zur Lage in Rumänien ist schwerpunktmäßig einem Thema gewidmet, das sich in ganz Mittel- und Osteuropa als bislang unlösbar erwies: das Problem der Integration der Zigeuner. In Rumänien ist dies besonders schwer - hier lebt die wohl größte Roma-Gemeinde Europas.

Wie viele der offiziell 22,5 Millionen rumänischen Staatsbürger Roma sind, weiß niemand genau, weil die Roma selbst sich oft nicht als solche erklären, sondern als Rumänen oder Ungarn ausgeben. Hinzu kommt, daß die Roma mehrheitlich weder Eheschließungen noch Geburten bei den Behörden anmelden. Daher besitzen viele keine Personalausweise, sie können so statistisch kaum erfaßt werden. Die letzte Volkszählung (1992) verzeichnete 410.000 Roma, die Behörde für Interethnische Beziehungen spricht von bis zu 1,2 Millionen, die Führer der verschiedenen Roma-Parteien sprechen von 1,5 Millionen. All diese Zahlen erfassen jedoch lediglich jene Roma-Bevölkerungsteile, die - gegliedert in 48 Sippen - ihre traditionelle Lebensform beibehalten haben. Die assimilierten Roma, die schon in zweiter oder dritter Generation integriert sind, bekennen sich nicht mehr zu ihrem Ursprung und erklären sich als Rumänen. Sie sind auch nicht mehr ihrer eigenen Sprache "Romanes" mächtig. Einige Ethnologen behaupten daher, sie könnten insgesamt zwischen acht und zehn Prozent der Gesamtbevölkerung stellen.

Ungeachtet dieser Tatsachen fordert der ECRI-Bericht von dem armen Balkanland besondere Anstrengungen im Bereich der Schulerziehung und der Minderheitenrechte - etwa Unterricht in Romanes. Doch wie kann ECRI Romanes-Unterricht fordern, wenn nur 40 Prozent der Roma dieser Sprache mächtig sind? Wie kann es überhaupt Unterricht in Romanes geben, zumal Romanes keine eigene Schriftsprache hat? Wie sollen Schulbücher verfaßt werden, wenn kein einziges wissenschaftliches Wörterbuch dieser Sprache existiert? Daß die große Mehrheit der Roma die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht zum Schulbesuch einfach nicht anerkennt, ignorieren die Straßburger "Experten" ebenfalls.

Unter dem Druck internationaler Institutionen und mit dem Ziel, Nato- und EU-Mitglied zu werden, haben linke wie bürgerliche rumänische Regierungen seit 1990 unzählige Gremien eingesetzt, um westlichen Wünschen zu entsprechen, die Roma zu "integrieren". Doch bei einem Bevölkerungsteil, der zu 45 Prozent nicht in der Lage ist, einen Grundschulabschluß vorzuweisen und infolgedessen fast zur Hälfte aus Analphabeten besteht, der mehrheitlich von Sozialleistungen lebt und 1992 eine offizielle Geburtenrate von 4,35 Kinder pro Frau (Rumäninnen: 1,79) hatte, sind die ECRI-Integrationsforderungen reinstes Wunschdenken.

Die Sitten der Roma, ihr soziales Verhalten, ihre problematische Einstellung zu Fragen des Eigentums und der Arbeit schlechthin, ihr Dauerkonflikt mit dem Strafgesetzbuch haben dazu geführt, daß die rumänische Mehrheitsbevölkerung sie zu 67 Prozent ablehnt, laut ECRI "negative Gefühle" gegenüber den Roma hegt. Gegenüber den Juden sind es laut ECRI nur 15 Prozent, gegenüber den Deutschen lediglich 9 Prozent.

Das ECRI-Dokument ist ein Konzentrat weltfremder Feststellungen und Forderungen, die zu nichts anderem dienen können als die Existenz dieser Kommission zu rechtfertigen. Keine Erwähnung findet etwa das redliche Bemühen des rumänischen Staates, das Roma-Problem nicht durch Gesetze, Verordnungen und Institutionen anzugehen, sondern eine schrittweise Lösung von oben nach unten anzupeilen, indem man sich zunächst bemüht, eine politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Elite der Roma zu erziehen, die dann selbst - in der nächsten Generation - das Lösen der Grundprobleme in Angriff nehmen können. Ob das gelingen wird, ist offen.

Ungleich seriöser hat sich die Stiftung Wissenschaft und Politik - Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit - mit dem Thema beschäftigt. In der im Dezember 2001 veröffentlichten Studie "Die Roma im EU-Erweiterungsprozeß: Fallbeispiel Rumänien" hat Anneli Ute Gabanyi die von ECRI ignorierten Grundprobleme aufgezeichnet - wobei kein Aspekt unerwähnt bleibt. Das Dokument sollte den ECRI-Reisenden als Beispiel nicht nur für den Fall Rumänien, sondern auch als Methodologie dienen.

Die ECRI-Philosophie geht von der Voraussetzung aus, daß jeder Konflikt durch "Toleranz", "Minderheitenschutz", "positive Diskriminierung" usw. gelöst werden könne - durch Konzessionen auf Kosten der Mehrheit und Förderung der "Unterdrückten", der "Schwachen" in der Gesellschaft. Diese Auffassung geht zurück auf die französische Revolution von 1789, als man meinte, durch schlichte Proklamation könne die Gleichheit der Menschen hergestellt werden.

Nur gibt es in der Gesellschaft Konflikte, die zumindest in einer übersehbaren Zeitspanne nicht lösbar sind, auch wenn keine Seite Schuld an der entstandenen Lage hat. Das ist der Grundstoff, aus dem die historischen Tragödien gewoben werden. Und der Dauerkonflikt der Roma mit der Mehrheitsgesellschaft ist längst ein ungelöstes paneuropäisches Problem geworden: in der Tschechei, in der Slowakei, in Ungarn und Ex-Jugoslawien - und bald auch in der EU.


 
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