© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/02 05. Juli 2002

 
Keiner will mehr sein eigener Chef sein
Unternehmen: Eine mittelstandsfeindliche Politik hat die Pleiten zunehmen lassen und Firmenneugründungen erschwert
Bernd-Thomas Ramb

Noch vor einigen Jahren schwebte Deutschland in einer Gründungseuphorie. Viele träumten vom Karriereweg des reichen Unternehmers, und so mancher Pennäler übertraf mit den Gewinnen seiner Nachmittagsfirma das Einkommen des Vaters um ein Mehrfaches. 811.400 Gewerbeanmeldungen wurden im Jahr 1998 verzeichnet, ein Nachkriegsrekord - 2001 waren es nur noch 723.000. Die Gründerlust ist gründlich vergangen. Dabei waren die Hoffnungen groß, endlich nach der negativen Entwicklung der siebziger und achtziger Jahre den Umschwung erreicht zu haben und auch im internationalen Vergleich besser dazustehen. Doch das Firmengründen liegt den Deutschen noch weniger im Blut als es ohnedies in früheren Jahren der Fall war.

Nach einer Studie der Universität zu Köln, die in einem "Global Entrepreneurship Monitor" jährlich Daten zu Existenzgründung und Selbständigkeit in 29 Ländern sammelt und auswertet, hatten im letzten Jahr nur 490 von 7.000 in Deutschland befragten potentiellen Unternehmensgründern auch tatsächlich eine Firma ins Leben gerufen. Mit einem Anteil von 7 liegt Deutschland auf dem viertletzten Platz der internationalen Skala. Nur Schweden, Holland, Japan und Belgien zeigen sich gründungsunlustiger. Internationale Spitzenreiter sind die Australier mit 16,2 Prozent Unternehmensgründern, gefolgt von Neuseeland mit 15,2. In Europa zeigen die Iren den größten Mut zur Unternehmung. Mit 12,1 Prozent liegen sie noch vor der USA (11,7) und Kanada (11,0). Alle anderen europäischen Länder können - außer Italien mit 10,2 Prozent - zwar keine zweistelligen Werte erreichen, liegen aber immer noch deutlich vor Deutschland.

Überdies erfolgt die Unternehmensgründung in Deutschland oft aus einer Notsituation heraus. Nur zwei von drei Neuunternehmen gründen ihre Firma allein, weil sie von ihrer Geschäftsidee überzeugt sind. 27 Prozent geben als Motiv wirtschaftliche Not an. In den USA werden dagegen 89 Prozent der Unternehmensgründer vom Glauben an den Erfolg ihrer Geschäftsidee beflügelt. Nur 10 Prozent der US-Unternehmer geben Notlagen an. Der hohe Anteil der deutschen Notgründungen wird nur von den Japanern übertroffen. Dort liegt das Notmotiv bei 37 Prozent der Unternehmensgründer vor, während gerade einmal 45 Prozent vom den Erfolg ihres Produktes oder ihrer Dienstleistung überzeugt sind.

Erschreckende deutsche Werte offenbaren sich auch bei den Unternehmensbeständen. Im Jahr 2000 lag die deutsche Quote der Selbständigen bei 10,4 Prozent der Erwerbstätigen. Seit dem Nachkriegstiefststand von 10,2 Prozent Anfang der neunziger Jahre ist somit keine Verbesserung eingetreten. Noch 1970 waren 17 Prozent (dewr westdeutschen) selbstständig. Mit 10 Prozent Selbständigenanteil liegt Deutschland weit unter dem EU-Durchschnitt von 16 Prozent und bei nur 7 Prozent Neugründungen läßt sich leicht vorhersehen, daß sich der Abstand zu den EU-Nachbarn weiter vergrößern wird. Im internationalen Vergleich haben die USA zur Zeit zwar einen noch geringeren Anteil an Selbständigen (7,4 Prozent), der Anteil der Neugründungen liegt jedoch mit 11,7 Prozent wesentlich höher, so daß die Dynamik auf eine Zunahme der Selbständigkeit hinweist.

Was sind nun die Ursachen für die erlahmende Bereitschaft der Deutschen zum unternehmerischen Risiko? Am mangelnden Firmenkapital kann es - zumindest im internationalen Vergleich - kaum liegen. Deutsche Jungfirmen werden üppiger mit staatlich subventionierten Fördermitteln ausgestattet als andere. Bei den Zugangsmöglichkeiten zu Fremd- und Eigenkapital nimmt Deutschland den zweitbesten Platz ein. Bei dem von den Banken kontrollierten Angebot an Risikokapital steht Deutschland international gesehen an vierter Stelle. Allerdings dürfte sich dies wegen der neuen Kreditvergaberegelung ("Basel II") künftig ändern. Eindeutig mangelt es dagegen den Deutschen an unternehmerischen Qualitäten. Bei den Kriterien "unternehmerische Motivation" und "Wertschätzung selbständiger Arbeit" nimmt Deutschland weltweit nur den 17., beziehungsweise 19. Rang ein. Für 53 Prozent der befragten deutschen Firmengründer ist die Angst vor dem Scheitern die größte Hürde. Im westeuropäischen Raum liegt dieser Wert bei nur 34 Prozent, in den USA haben nur 20 Prozent Versagensängste.

Schuld am mangelnden Gründungswagnis lädt aber auch der deutsche Staat auf sich. Beim Thema Steuern und Regulierung nimmt Deutschland im internationalen Vergleich auf der Vorteilsskala nur die 13. Stelle ein. Das ist bei 29 Staaten zwar eine mittlere Position, die Hauptfallstricke liegen jedoch in Detailregelungen, die erst seit einigen Jahren bestehen und sich noch stärker auswirken werden. So betrifft die Ausweitung des Kündigungsschutzgesetzes auf Firmen mit fünf bis zehn Beschäftigten schnell auch junge Unternehmen, die diese Problematik erkennen und vielfach schon deshalb auf Gründungen verzichten. Seltener zutreffend, aber dann ebenfalls häufig zum Gründungsverzicht führend sind die langen Genehmigungsfristen für einige Unternehmen. Wenn bis zu 24 Monate Wartezeit in Kauf zu nehmen und bis zu neun Behörden abzuklappern sind, legt so mancher Jungunternehmer die Firmengründung von vorneherein zu den Akten.

Als Gründungsverhinderungsgesetz hat sich vor allem das "Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit" herausgestellt. Im bürokratischen Bestreben, die sogenannte "Scheinselbständigkeit" zu verhindern, die von manchem zur Umgehung der Sozialversicherungspflicht genutzt wurde, hat der Gesetzgeber so manchem Gründungskandidaten die Firmenbasis entzogen. Scheinselbständig sind Unternehmer, die nur einen Hauptauftraggeber vorweisen können. Gerade junge Selbständige benötigen aber eben diesen Hauptkunden als finanzielle Basis ihres Unternehmens. Vielfach lassen sich erst danach weitere Auftraggeber erschließen. Das trifft insbesondere auf die Notgründungen zu, die im übrigen gerade von Arbeitslosen mit finanzieller Unterstützung des Arbeitsamtes ins Leben gerufen werden. Wenn selbst diese Minimalchancen vom Staat zunichte gemacht werden, kann sich kaum eine Unternehmenskultur entwickeln.

So bildet sich in Zeiten konjunkturellen Tiefgangs und fehlender struktureller Reformen im Sozialbereich eine weitere Problemfront in der deutschen Wirtschaft. Schon jetzt klagen die Altunternehmer über mangelnde Bereitschaft der Jungen zur Firmenübernahme. Die mittelstandsfeindliche Politik der letzten Jahrzehnte hat die Anzahl der Firmenpleiten explodieren lassen. Nun bricht auch noch die Firmenneugründung ein. Wer aber soll künftig die Arbeitsplätze für die Nichtselbständigen anbieten, wenn es immer weniger Selbständige gibt?


 
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