© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/02 05. Juli 2002

 
Die Spur der Ahnen
Kino: "Little Senegal" von Rachid Bouchareb
Ellen Kositza

Alloune ist Witwer und lebt auf der senegalesischen Insel Gorée. Dort arbeitete er bis vor kurzem als Führer in einem Sklavenmuseum. Nun ist er im Ruhestand, doch sein bisheriges berufliches Metier, die Geschichte seiner Vorfahren, läßt ihn nicht los.

Auf der Suche nach seinen Ahnen und deren noch lebenden Nachkommen begibt sich Alloune nach Amerika. Recherchen in Museen, Bibliotheken und Privathäusern in der Gegend um South-Carolina, wohin vor zweihundert Jahren seine Ururgroßväter verschifft worden waren, weisen ihm eine Spur nach New York auf, in dessen Viertel Harlem sich seit wenigen Jahren ein "Little Senegal" etabliert hat. Der alte Schwarze folgt der Fährte und trifft dort ein inner-rassistisches Klima an, das er, auf Solidarität, Interesse und Heimatverbundenheit hoffend, niemals erwartet hätte.

Die zumindest in ihren Vierteln integrierten Afro-Amerikaner deklassieren die erst seit kurzem in hohen Zahlen und oft illegal eingereisten Afrikaner zu minderwertigem Pack. Die Sklavennachfahren erweisen sich als traditionsvergessene Emporkömmlinge auf unterstem Niveau, zwar lange aus den Fesseln ihrer weißen Herren befreit, aber Sklaven ihrer Affekte, Triebe und der kriminellen Strukturen, innerhalb derer sie oft ihr Auskommen gefunden haben. Bald macht Alloune, der würdige Sohn des Schwarzen Kontinents seine entfernte Verwandte Ida ausfindig. Die alleinerziehende Großmutter eines verdorbenen und zur Zeit im Dschungel der Stadt verschollenen Mädchens betreibt einen kleinen Kiosk und kanzelt Alloune, der aus begründeter Vorsicht nicht wagt, seine Identität als Cousin preiszugeben, gewohnt herrisch ab. Afrikanern könne man nicht trauen - warum er nicht in Senegal geblieben sei? Doch der Alte bleibt hartnäckig, und über die Suche nach der Enkelin, die hochschwanger auf- und wieder abtaucht, kommen er und Ida sich näher. Zugleich lernt Alloune das Leben seiner - blutsmäßigen - Landsleute kennen, trifft schlagende Ehemänner, Elend, Kriminalität und erkennt die Unmöglichkeit eines Aufstiegs in eine Normalität. So ist "Little Senegal" ein illusionsloser Blick auf moderne Entwurzelung und Heimatverlust, auf Würde und deren Unmöglichkeit in einem kulturvergessenen Schmelztiegel.

Der Protagonist wird gespielt durch den in seiner Heimat außerordentlich populären Tänzer und Schauspieler Sotigui Kouyate, der zudem als Fußball-Nationalspieler in Burkina Faso Karrierre machte.

So wie das langsamere Lebenstempo afrikanischer Mentalitäten beinahe sprichwörtlich ist und ja auch den Reiz einer romantisierenden Vorstellung des Orients ausmachte, ist "Little Senegal" ein langsamer Film. Stehende Bilder, Kameraarbeit vom Stativ aus, eine sich niemals überschlagende, zum Teil eher stockende Handlung sind die Zutaten zu einer stillen und ruhigen Atmosphäre, auch wo die lauten Straßen Harlems Schauplatz des Geschehens sind. Daher mag es auch Temperamentssache sein, wenn der Film nur mäßig gefällt, weil sein Tempo das europäische Auge unterfordert.


 
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